Barbara Bagenal

27. Okober 1891 - 11. September 1984

 

Künstlerin, Malerin

 

 

Barbara Hiles, verh. Bagenal, war die Tochter von Catherine Bracegirdle und Henry Edward Hiles; sie hatte eine Schwester, Christine Mary, die um drei Jahre älter war. Die Familie lebte in Liscard / Wallasey, Cheshire (Longland Road). Barbaras Vater war ein wohlhabender Liverpooler Baumwollhändler und Landschaftsmaler; er begann mit 58 Jahren an der Pariser Grande Chaumiére Académie zu studieren; einer seiner Lehrer war der australischen Maler Emanuel Phillips Fox. Henry Edward Hiles war Mitglied der Liverpool Academy of Arts.

Barbara besuchte die Prior's Field School in Guildford, südwestlich von London; die progressive Schule wurde 1902 von Julia Frances Huxley, Mutter von Aldous Huxley, mit dem Ziel gegründet, Mädchen auf dem Weg zu frei denkenden und selbstständigen jungen Frauen zu begleiten. Barbaras Vater nahm seine Tochter zu seinen Malexpeditionen mit, unterstützte ihre künstlerischen Ambitionen und versorgte sie mit Malutensilien; so begleitete sie ihn auch nach Paris und besuchte die Grande Chaumiére Académie, wo sie den "Course Libre" belegte, einen Kurs, an dem Frauen und Männer gemeinsam am Aktzeichnen teilnahmen. Sie war - nach eigenen Worten - eine für die damalige Zeit sehr unabhängige junge Frau, mit dem leidenschaftlichen Bedürfnis zu zeichnen und zu malen. Von 1912 bis 1915 besuchte sie die Slade School of Art in Chelsea, London, und gehörte bald zu einer Gruppe rebellischer junger Frauen um Dora Carrington - the wild group -, der auch Dorothy Brett, Ruth Humphries, Constance Lane, Elsie McNaught und Alix Sargant-Florence angehörten. Sie nannten sich bei Nachnamen, trugen die Haare kurz - Barbara hatte ihre schon in Paris abgeschnitten - und wurden von Virginia Woolf die "Cropheads" genannt, Molly MacCarthy nannte sie die Bloomsbury-Häschen.

Als auf Initiative von Roger Fry 1913 die Omega Workshops am Fitzroy Square in Bloomsbury gegründet wurden, unterstützte Barbara - gemeinsam mit Gladys Hines und Winifred Gill - Roger Fry bei Aufbau und Organisation von Omega.

1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, gewann Barbara den zweiten Preis im Wettbewerb für Komposition mit ihrem Bild zum Thema "Sommer" und hörte erstmals anerkennende Worten für ihre Arbeit von Professor Frederick Brown "ich kann nicht länger leugnen ..."; davor hatte ihr Zeichenlehrer Henry Tonks sie hart kritisiert und ihr vorgeschlagen, besser nach Hause zu gehen und Kleider zu nähen, worauf sie ihm antwortete, dass tatsächlich jeder Stich an ihrer Kleidung von ihr stamme.

Eine weitere Ausbildung - Spinnen und Weben - machte Barbara am Londoner Hornsay College of Art, das für seinen progressiven Ansatz in der Ausbildung bekannt war, vor allem in den Fächern Werbedesign und Industriekunst; Webstuhl und Spinnrad begleiteten sie ihr Leben lang.

Barbara fand bald Zugang zum Kreis um Ottoline Morrell und stand mit der Bloomsbury Guppe in Verbindung, vor allem mit Virginia Woolfs Schwester Vanessa Bell, die sie auf einem der Donnerstagsfeste bei den Morrells am Bedford Square kennen gelernt hatte. Vanessa Bell, verheiratet mit Clive Bell, lebte in einer Beziehung mit Duncan Grant, der wiederum eng mit David "Bunny" Garnett befreundet war. Bunny war bekannt für seine schnell wechselnden Beziehungen zu jungen Frauen, darunter auch zu Alix Sargant-Florence und zu Barbara, die ihm bei einer Bloomsbury-Party - wild tanzend - ein blaues Auge verpasste, deren Lebendigkeit ihn ansprach und die ihm nach Ende der Beziehung zu einer guten lebenslangen Freundin wurde.

Frances Spalding beschrieb Barbara als klein, lebhaft und unkonventionell, mit dunkelblauen Augen, roten Wangen, einem elfenhaften Gesicht und kurzen lockigen Haaren; sie trug Hosen, fuhr als eine der ersten Frauen Motorrad, war jederzeit hilfsbereit und packte zu, wo immer es notwendig war - in Vanessa Bells Charlston Farmhouse beim Färben von Stoffen, beim Nähen von Kostümen für Theateraufführungen, beim Restaurieren von Mill House für Lytton Strachey und Carrington oder in der Wissett Lodge in Suffolk, wo Duncan Grant und David Garnett - beide Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen - eine Landwirtschaft betrieben, um dem Wehrdienst zu entgehen.

Anfang 1917 verbrachten Barbara und Carrington viele Wochen damit, mit dem Fahrrad über Land zu fahren um ein Haus für Lytton Strachey zu suchen, in dem er seine "Eminent Victorians" in Ruhe fertig schreiben konnte; sie fanden schließlich Mill House in Tidmarsh, das bis 1924 ein Zuhause für Carrington und Lytton wurde. Im Sommer dieses Jahres schlug Barbara ihre Zelte - im wahrsten Sinne des Wortes - neben der Scheune von Charleston Farmhouse auf und niemand konnte sagen, ob für zwei Wochen oder für den ganzen Sommer. Vanessa Bell meinte in einem Brief an ihre Schwester Virginia Woolf:

"Solange sie uns nicht die ganze Welt um die Ohren haut, habe ich nichts dagegen, denn sie ist sehr unabhängig, aber man ist den Leuten ziemlich ausgeliefert, wenn sie vor der eigenen Haustür zelten wollen..."

Auf Vorschlag von Vanessa begann Barbara im November 1917 drei Tage in der Woche in der Hogarth Press zu arbeiten und den Woolfs beim Setzen zu helfen. Für ihre Mitarbeit bekam sie eine Monatskarte nach Richmond, wo der Verlag im Hogarth House untergebracht war, einen Anteil am Gewinn der Publikationen sowie Lunch und Tee. Bei Luftalarm übernachtete sie auch gelegentlich in Richmond. Einschließlich der Fahrtkosten und eines Freiexemplars verdiente Barbara insgesamt 2 Pfund, 2 Shilling, 6 Pence. In Produktion war gerade das zweite Buch des Hogarth Press, Katherine Mansfields "Prelude": nachdem Barbara bemerkte wie unprofessionell das erste Buch, Virginia Woolfs "Two Stories", gesetzt worden war, konnte sie - praktisch als Setzerlehrling - Leonard Woolf überreden, ihr die Titelseite von "Prelude" zu überlassen, was er nach langem Zögern auch tat. In den nächsten Monaten machte Barbara den Bleisatz und half Leonard beim Drucken; war Virginia Woolf anfangs noch von ihrer Arbeit angetan, klagte sie später ("nicht viel Intelligenz, aber die Schnelligkeit & Genauigkeit einer guten Stickerin“) und fühlte sich durch ihre jugendliche Lebendigkeit in ihrer inneren Ruhe gestört.

Barbara war eng mit dem um elf Jahre älteren Saxon Sydney-Turner befreundet, Freund von Leonard Woolf und Lytton Strachey aus der Studienzeit. Saxon war ein sehr zurückhaltender, überaus gebildeter Mensch, dessen große Liebe Barbara war und der sie heiraten wollte. Barbara entschloss sich aber schließlich zu einer Ehe mit dem gleichaltrigen Nick Bagenal, den sie durch seine Schwägerin Alison Mary Hogg kennen gelernt hatte, mit der sie Anfang des Krieges eine Wohnung geteilt hatte; gleichzeitig wollte sie die Freundschaft zu Saxon beibehalten, dieser lehnte es aber ab, ihr Liebhaber zu sein.

Dazu Vanessa Bell - die auch in einer Beziehung mit zwei Männern lebte:

"Aber wie jemand mit der Vorstellungskraft einer Eule sich das Leben so vorstellen kann, wie sie es sich vorstellt, ist mir schleierhaft - die Hälfte des Jahres mit dem einen, die Hälfte mit dem anderen, ein Kind von jedem usw., und keiner hat irgendeinen Grund zur Eifersucht oder zur Beschwerde, und sie wie ein Spiegel in der Mitte, in dem sich jeder abwechselnd spiegelt."

Saxon blieb ihr trotz Heirat ein guter, treu ergebener Freund, für ihre Kinder wurde er eine Art Patenonkel und unterstützte sie in vielen Bereichen ein Leben lang.

Am 1. Februar 1918 heiratete Barbara Nicholas Beauchamp Bagenal. Nicks Eltern Harriet Jocelyn Hore und Philip Henry Bagenal lebten in Wimbledon (11 Spencer Hill); sie waren 1890 von Irland nach England übersiedelt; Nick besuchte die Aldenham School in Elstree, Hertfordshire, studierte am King's College in Cambridge Geschichte und machte nach dem Ersten Weltkrieg einen Umschulungskurs für Offiziere am South-East Agricultural College in Wye / Kent; wahrscheinlich hatte er im Krieg Schädigungen durch Gas erlitten und es wurde ihm empfohlen viel Zeit im Freien verbringen.  Er wurde Experte für Obstanbau und Autor verschiedener Bücher zu diesem Thema, schrieb eine Biografie über den Botaniker Thomas Andrew Knight (1938), einem der wichtigsten Züchter von Obst und Gemüse in der Geschichte des englischen Gartenbaus.

Das jung vermählte Paar wohnte anfangs in Barbaras Atelier in Hampstead (Heath Street 21A), für Virginia Woolf ein Abbild nachimpressionistischen Zeitgeistes, eingerichtet und ausgestattet im Stil der Omega Workshops, mit Bezügen von B. Burnet & Co, eine Firma, die bekannt war für ihre gewagten und farbenfrohen Stoffen. Ein wenig eifersüchtig meinte Virginia "sogar die schwarzweiße Katze schien ihr Dekor von Omega zu haben."

Barbara wurde schwanger und überlegte kurz eine Abtreibung, da Nick an der Front schwer verletzt worden war und sie Angst hatte, dass er nicht zurück kommt. Vanessa Bell, die ebenfalls schwanger von Duncan Grant war, riet ihr davon ab und bot ihr an, im Ernstfall die Kinder gemeinsam zu aufzuziehen. Unterstützung bekam sie auch von Saxon, der viel Zeit mit ihr verbrachte.

Nick kam aus dem Krieg zurück und am 8. November 1918 wurde Barbaras Tochter Judith in einer privaten Entbindungsklinik geboren - nach Virginia Woolf sah sie aus wie Nick, mit einem kleinen Gesicht, braunen Augen, Stupsnase. Carrington besuchte sie dort am 11. November, dem Tag des Waffenstillstandes, und bezeichnete das Baby als japanisches Würmchen. Judith Bagenal wurde eine enge Freundin von Angelica Bell, Vanessas Tochter, und verbrachte viele Ferien in Charleston oder in Frankreich; sie heiratete 1943 in Leeds Archer J. P. Martin, der 1952 den Nobelpreis für Chemie bekam.

Nachkriegszeit, Ehe und Kind veränderten Barbara - sie vermisste ihr früheres Leben und ihre FreundInnen in London. Virginia Woolf, die noch im September 1919 Barbara "in Kniebundhose & Pullover, rot wie ein Apfel, aber mütterlich, ... mit ihrer spürbaren kleinen Charaktereigenart, die sie vom Rest unterscheidet" beschreibt, bekam kaum zehn Monate später ein ganz anderes Bild:

"Die arme Barbara hat die vorspringende Nase & die starren Falten von jemandem, der vorzeitig gealtert ist. Ihr Leben ist eine derartige Schufterei & Plackerei, dass ich Mitleid bekomme – wenn ich sehe, wie das menschliche Leben wie ein Ding ist, das von der Not in die Mangel genommen wird. Denn anscheinend hatte sie keine andere Wahl. Zuerst Nick, dann das Kind - & alle ihre Wege von der Hand des Schicksals fürs ganze Leben vorgezeichnet, denn sie kann nicht abspringen. Da ist sie und geht ihren Weg. Unsere Generation wird täglich durch den verdammten Krieg gegeißelt."

Sicher eine subjektive Einschätzung, denn: im April 1920 war Barbara mit ihrem Mann einige Zeit in Paris, sie besuchten einen Kurs für französische Literatur in Versailles und verbrachten ein fröhliche Zeit mit Carrington, Lytton Strachey und Ralph Partridge, die auf der Durchreise von Madrid in Paris Station machten. Aber auch Carrington sah halb mitleidig, halb entsetzt, wie sich das Leben ihrer Freundin verändert hat: keine Stunde Zeit für sich, ein langweiliges Hausfrauenleben, das Ende eines reizenden Geschöpfs, das jeden Mann in seinen Bann gezogen hatte.

Am 21. Juli 1921 bekam Barbara ihr zweites Kind: Henry Michael. Mike besuchte die Bryanston School in Blandford, Dorset, machte den Master of Art am King's College, Cambridge und lehrte an der Dartington Hall School (Totnes, Devon) und an der Bryanston School. Vier Jahre später, am 24. August 1925 kam Timothy Bracegirdle; Tim besuchte die Beltane School in Wimbledon, studierte am King's College in Cambridge. Er heiratete die Mathematikerin Mary Goldsbrough, wurde Meeresbiologe, Schafzüchter und Lokalhistoriker; so beschäftigte er sich etwa mit der Geschichte des Ortes Muker im Swaledale, Yorkshire, wo die Bagenals Urlaub gemacht hatten und wo seine lebenslange Liebe zu Yorkshire begann.

Barbaras Mann Nick war seit 1922 Lehrbeauftragter an der East Malling Research Station, einem Forschungsinstitut für Obstanbau in der Nähe von Maidstone und zeigte - nach Virginia Woolf - seine Zuneigung zu Barbara deutlich; er war stolz auf sie und ihre Nähe zu - in seinen Augen - berühmten Persönlichkeiten: Beziehungen, die Barbara pflegte und weiter aufrecht erhielt. Die Familie wohnte nun im gemieteten und später gekauften Pilgrim House (Vigo Hill, Trottiscliffe/Trosley bei West Malling, Kent). Barbara bekam Unterstützung im Haushalt: Kaiya, eine Finnin, half ihr auch bei der Kinderbetreuung und  ermöglichte ihr, mit ihrem Freundeskreis zu verreisen und zumindest teilweise an ihr früheres Leben anzuknüpfen.

Im Juni 1923 plante sie, mit Saxon nach Spanien zu fahren, bekam aber Scharlach und musste ins Krankenhaus von Maidstone; Virginia Woolf schrieb ihr einen langen Brief mit Tratschgeschichten und nannte sie Barbara Chickybidiensis, ein Spitzname, den sie bei einem Besuch in Monks Haus bekam, als sie kenntnisreich Pflanzen mit ihren lateinischen Namen benannte. Nach ihrer Genesung reiste sie im August 1923 mit Carrington, Lytton Strachey und Ralph Partridge - eingezwängt in einem Auto - nach Frankreich; sie besuchten Boulogne, Amiens, Rouen und Chartres, fuhren über Orleans nach Dijon, brachten Lytton nach Pontigny, wo er an einer Literaturtagung teilnahm, und besuchten schließlich die romanische Stadt Vermenton an der Yonne. 1928 machte sie mit ihrer Tochter Judith Ferien bei Vanessa Bell in ihrem Ferienhaus La Bergere in Cassis, wo Judith als Gesellschaft für Vanessas Tochter Angelica länger bleiben sollte. Im Oktober 1929 reiste sie nach Madrid, gemeinsam mit Saxon, Frances Marshall, Ralph Partridge und der Malerin Therese Lessore, Frau von Walter Sickert.

Über Barbara Bagenals Leben in den nächsten Jahren ist nur wenig zu erfahren; Virginia Woolf erwähnt in ihren Tagebüchern und Briefen eine Geschichte von Barbara, die sie lesen sollte - der Text ist leider verschollen - oder beschreibt sie 1930 als "gealtert, nicht in ihrem Element, gereizt & sehr gerötet & spitznäsig".

Im Oktober 1938 besuchten Barbara und Nick mit ihren Kindern unangemeldet die Woolfs in Rodmell; sie blieben vier Stunden und verursachten bei Virginia Trübsal, was sie in einem Brief an ihre Schwester Vanessa Bell mit Entsetzen ausdrückte: sie sah

"die armen Bags ... auf der untersten Sprosse des Lebens stehen; wasserblütig; schlampig; verdrießlich; servil; ihre Augen nichts als Fliegen; ein einziges Tropf tropf tropf der Klagen von Barbara, Judith ... so eine Prüfung, keine Freunde; Jungen so dumm; können keine Examen bestehen; kein Geld; keine Dienstboten; keine Freunde."

Als im Zweiten Weltkrieg die Lage immer bedrohlicher wurde, drängte Helen Goldby, die Schwester von Stephen Tomlin, Barbara zu ihr nach Australien zu kommen um der Bombardierung zu entgehen. Barbara nahm das Angebot nicht an und lebte zeitweise im Haus von Jane Elizabeth (Lucy) Norton (West Peckham Hurst nr. Maidstone, Kent); Lucy Norton war Feministin, Bibliografin und Biografin von Edward Gibbon, Direktorin der Buchhandlung Birrell & Garnett und jüngere Schwester von Harry (H.T.J.) Norton, einem engen Freund von Lytton Strachey. Barbaras Tochter Judith war zu dieser Zeit in Leeds, die Söhne studierten und Barbara fühlte sich allein gelassen. Ihre Ehe mit Nick, der offensichtlich nicht sehr treu war, lief schief und Nick hatte eine Wohnung in East Malling, in der Nähe seiner Arbeitsstätte und der Heimwehr. 1943 trennten sie sich, 1951 erfolgte die Scheidung.

Nach Virginia Woolfs Tod im April 1941 schrieb Barbara einen Brief an Vanessa Bell, in dem sie ihr jede Art von Hilfe anbot, auch wenn sie selbst sich klein und hilflos fühlte. So kümmerte sich Barbara 1944 - als sich Vanessa Bell nach einer Operation erholen musste - um Tochter Angelica und Enkeltochter Amaryllis, da auch David Garnett, Angelicas Mann, eine Operation hatte und nicht bei seiner Familie sein konnte.

Nach Ende des Krieges und dem Wiederaufleben von kulturellen Aktivitäten fand 1946 die Premiere von Sadler's Wells Ballet in Covent Garden statt; auch Barbara nahm an diesem gesellschaftlichen Ereignis teil, in einem Kleid von Elsa Schiaparelli, das ihr Kathleen Sutherland borgte, die es wiederum von der Vogue Journalistin Jane Clark hatte; bei der Premiere waren u. a. auch Clive Bell und seine ehemalige Gefährtin Mary Hutchinson.

In den 1950-er Jahren bewohnte Barbara ein Cottage (Dockery's) in Iden, nahe Rye, und pendelte zwischen London und Rye. Sie legte einen Garten an, in dem Rosen, Vergissmeinnicht, Ringelblumen und Nelken üppig ineinander wuchsen, hatte Ribiselsträucher und einen Feigenbaum.

Von Rye aus besuchte Barbara auch einen Vortrag von E. M. Forster im Kulturzentrum Miller's House in Lewes, das die "Miller Ladies" - die Bildhauerin Caroline Byng Lucas und ihre ältere Schwester Frances Byng Stamper - mit Unterstützung von Duncan Grant, Vanessa Bell und Clive Bell gegründet hatten und dessen gesellschaftliches Umfeld Barbara intressierte.

Barbaras Enkelinnen erinnern sich an Besuche und Sommerferien in Iden, an ihre Großmutter beim Spinnen und am Webstuhl; sie lernten von ihr die Namen vieler Pflanzen und Schmetterlinge, sie unterstützte sie beim Malen und Zeichnen und besuchte mit ihnen Vita Sackville-West in Sissinghurst, Vanessa Bell in Chaleston oder ihre zahlreichen Bekannten in der Umgebung von Rye wie den Maler Keith Baynes. Im Gegensatz dazu waren die Aufenthalte der Enkelinnen in London geprägt von Besuchen in Kunstgalerien, in Buchhandlungen oder bei Winsor & Newton, einem alteingesessenen Geschäft für Kunsthandwerks- und Malutensilien.

In London bewohnte Barbara nach ihrer Scheidung von 1951 bis 1964 eine Wohnung in der  Percy Street Nr. 18 (vorher eine in der Wimpole Street), im Stock oberhalb lebte Sonia Orwell, im Erdgeschoss war ein zypriotischer Lebensmittelhändler. Auch Saxon Sydney-Turner wohnte hier (Nr. 28) bis 1955 und vermietete die Wohnung dann an Vanessa Bell und Duncan Grant; ein weiterer Bewohner war Wyndham Lewis, der in den 1930-er Jahre auf Nr. 31 lebte. Bekannt war diese Straße auch durch das Lokal Eiffel Tower (Nr. 1), intellektueller und künstlerischer Treffpunkt in den 20-er Jahren.

In diesen Jahren organisierte Barbara zahlreiche Reisen für die Bloomsburies - so für Vanessa Bell, Duncan Grant, Edward Le Bas und Clive Bell eine Reise nach Paris - oder begleitete Clive nach Menton, wo sie im Hotel Brittania wohnten. Sie und Clive waren sich näher gekommen und Barbara wurde bald unentbehrlich für ihn. Sie besuchte mit ihm gesellschaftliche und kulturelle Veranstaltungen, organisierte und begleitete ihn auf Reisen, regelte seinen Alltag und sorgte für sein Wohlergehen. Obwohl man Barbara oft nicht Ernst genommen hatte, sie als anstrengend empfand und sie auch nie als als enges Mitglied des Bloomsbury Kreises anerkannt wurde, waren nun Clives Familie und seine Freunde überaus dankbar, dass sie sein Leben organisierte. Bei einem Besuch in Charleston hörte sogar Barbaras Enkelin Vanessa, wie Vanessa Bell zu Barbara sagte: "Kümmere dich bitte für mich um Clive." Aus Dankbarkeit bemalte sie eine Holzverblendung vor dem Gaszähler und zwei Fensterläden in ihrer Londoner Wohnung; Clive hatte dort bei seinen Stadtaufenthalten ein eigenes Zimmer, in dem auch ein von Vanessa bemaltes Bett stand (Barbara erbte es von Clive und vererbte es dem Charleston Trust). Howard Grey fotografierte viele Jahre später Barbara in ihrem Garten in Rye, vor sich die von Vanessa bemalte Verblendung.

Im Oktober 1957 fuhr Barbara mit Clive Bell und einer Gruppe von Freunden (Vanessa Bell, Duncan Grant, Raymond Mortimer, Eardly Knollys, Peter Morris) nach Venedig. Vanessa, die schon immer ein gespaltenes Verhältnis zu Barbara hatte, meinte, dass sie nicht gerade über die Seufzerbrücke getanzt sei, aber ununterbrochen mit voller Inbrunst redet, die Zattere heiter entlang hüpft und man ihr nicht entkommen kann.

Im Februar 1958 trafen Barbara und Clive in Cannes Picasso, der ihr eine Zeichnung von 1905 signierte, die ein Geschenk von Saxon war. Eine signierte erotische Skizze schickte ihr Picasso im selben Jahr in die Percy Street, als Dank für vielfarbige Socken, die Barbara für ihn gestrickt hatte.

Anfang 1960 fuhr sie - wie so oft - mit Clive wieder nach Frankreich, wo sie wie immer in Menton wohnten, nahe Vanessa Bells Ferienhaus La Souco. Bei ihrer Rückkehr erfuhren sie vom plötzlichen Unfalltod Janie Bussys, mit der Barbara eine enge Freundschaft verband und mit der sie in ständiger Korrespondenz stand. Ein Jahr später stürzte Clive in Menton, wo er sich von einer Krebsoperation erholte und wurde mit einem Beinbruch nach England zurückgeflogen; während seines Aufenthalts in einer Londoner Klinik besuchte ihn Barbara täglich. In diesem Jahr starb auch Vanessa Bell; Barbara kümmerte sich die nächsten drei Jahre um Clive Bell - er starb 1964.

Die kommenden zwanzig Jahre wohnte Barbara hauptsächlich in Rye, wo sie ein Haus in der Hucksteps Row (Church Square) hatte; sie lebte zurückgezogen, aber nicht untätig: 1967 organisierte sie die Ausstellung "Artists of Bloomsbury" (20. Juni bis 28. August) in der Rye Art Gallery. Die Galerie war zehn Jahre zuvor von Mary und Howard Stormont gegründet worden und stellte gleichzeitig auch ein Museum für lokale KünstlerInnen dar; Barbara war Mitherausgeberin des Katalogs (Bagenal, Barbara, et al.: Artists of Bloomsbury: Paintings, Watercolours, and Drawings. Rye, Sussex: Rye Art Gallery, 1967). Die Ausstellung umfasste insgesamt etwa hundert Bilder - darunter auch Werke von Barbara -, Keramik und Möbel und trug wesentlich dazu bei, die Bloomsbury KünstlerInnen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Ihren achtzigsten Geburtstag feierte Barbara 1971 im University Women's Club, unter den BesucherInnen war auch Duncan Grant, einer der wenigen ihrer Freunde, der noch lebte. Ein paar Jahre später zeigt ein Foto - aufgenommen um 1976 - Barbara und Duncan in der Rye Art Gallery, umgeben von Paul Roche, Russell Scott und Richard Shone vor den Bildern der Bloomsbury Künstler: Richard Shone gab 1976 das Buch "Bloomsbury Portraits: Vanessa Bell, Duncan Grant and their Circle" heraus.

Am Ende ihres Lebens konnte Barbara nicht mehr für sich selbst sorgen und wohnte bei ihrem ältesten Sohn Mike in Godmanchester, einer Kleinstadt nordwestlich von Cambridge. Sie war an grünem Star erkrankt, litt unter zunehmender  Demenz und kam schließlich in ein Pflegeheim in Cambridge, wo sie 1984 starb.

 

Barbara Bagenal war Mitglied der Contemporary Art Society, einer gemeinnützigen Gesellschaft, die 1910 gegründet wurde, um die zeitgenössische Kunst zu fördern und sie durch Ankäufe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das erste Zusammentreffen, das zur Gründung führte, fand im Haus von Philip und Ottoline Morrell statt.

 

Ich möchte an dieser Stelle den Enkelinnen von Barbara Bagenal, Ann Lovick und Vanessa Pawsey, Töchter von Judith Bagenal Martin, danken, die mir Familienfotos zur Verfügung gestellt haben und durch Erinnerungen an ihre Großmutter dazu beigetragen haben, Barbara Bagenals Leben sichtbarer zu machen.

 

Bildnachweis:

Barbara Bagenal (née Hiles), Porträt von Ray Strachey, späte 1920-er / frühe 1930-er Jahre: NPG D203, © National Portrait Gallery, London, www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw36188/Barbara-Bagenal-ne-Hiles?

Menton, France, ca 1950: © the copyright holder. Photo credit: Charleston, artuk.org/discover/artworks/menton-france-73733

Barbara als Schulmädchen / Barbara 1915: www.anatexis.com/bagenal-family

Dora Carrington, Barbara Hiles, Dorothy Brett, um 1912: spartacus-educational.com/ARTbrett.htm

Barbara Hiles mit Freunden bei Ottoline Morrell, Juli 1915: NPG Ax140445, © National Portrait Gallery, London / www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw87359/Lady-Ottoline-Morrell-with-friends?LinkID=mp166223&role=sit&rNo=0

Barbara Hiles und Oliver Strachey, 1917: Foto Ray Strachey, NPG Ax160969, © National Portrait Gallery, London / www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw264884/Barbara-Bagenal-ne-Hiles-Oliver-Strachey?search=sp&sText=Barbara+Bagenal&rNo=2

Barbara Hiles und Saxon Sydney Turner, 1917: Foto Ray Strachey, NPG Ax160970, © National Portrait Gallery, London / www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw264887/Saxon-Arnold-Sydney-Turner-Barbara-Bagenal-ne-Hiles?search=sp&sText=Barbara+Bagenal&rNo=3

Judith, Barbara, Tim, Nick und Mike Bagenal um 1927, Familienporträt von John Banting: www.anatexis.com/family-portraits/
Saxon Sidney Turner mit Judith 1919:
Virginia Woolf Monk's House photograph album, MH-2, Harvard University, Houghton Library, htc_ms_thr_559_photo_0038, iiif.lib.harvard.edu/manifests/view/ids:17948377
Barbara Bagenal mit Mike und Judith 1921:  Virginia Woolf Monk's House photograph album, MH-2, Harvard University, Houghton Library, htc_ms_thr_559_photo_0051, iiif.lib.harvard.edu/manifests/view/ids:17948390

Saxon mit Mike und Judith 1922 / Mike und Judith / Nick und Barbara / Judith, Barbara, Tim, Mike um 1927:

www.anatexis.com/bagenal-family

Barbara Bagenal, o.J.: Harvard University, Houghton Library, htc_ms_thr_562_photo_0183,  iiif.lib.harvard.edu/manifests/view/ids:17950827

Nick Bagenal: Harvard University, Houghton Library, htc_ms_thr_561_photo_0096,  iiif.lib.harvard.edu/manifests/view/ids:17951209

Clive, Picasso und Barbara / Picasso und Barbara: www.anatexis.com/bagenal-family

Barbara in ihrem Haus in Rye, neben sich Duncan Grants Porträt von Lytton Strachey (um 1913): www.anatexis.com/bagenal-family

Raymond Harris Ching, Porträt von Barbara Bagenal: © the copyright holder. Photo credit: Rye Art Gallery, artuk.org/discover/artworks/barbara-bagenal-236143

 

Barbara Bagenal (geb. Hiles), Porträt von Ray Strachey

Barbara Bagenal: Menton, France um 1950

 

Barbara als Schulmädchen / Barbara 1915

 

Dora Carrington,

Barbara Hiles (Bagenal),

Dorothy Brett, um 1912

 

im Garten von Ottoline Morrell:

1. Reihe: Faith Henderson (geb. Bagenal),  Ottoline Morrells Tochter Julian,  Barbara Hiles

2. Reihe: Juliette Huxley, Lytton Strachey,

Mary Hutchinson, Clive Bell

3. Reihe: Nick Bagenal, Ottoline Morrell

 

 Barbara mit Oliver Strachey, 1917 /

Barbara mit Saxon Sydney-Turner, 1917

 

Judith, Barbara, Tim, Nick und Mike Bagenal

Gemälde von John Banting

 

Saxon Sidney Turner mit Judith 1919 /

Barbara mit Mike und Judith 1921

 

Saxon mit Mike und Judith 1922 / Mike und Judith

Nick und Barbara / Judith, Barbara, Tim, Mike um 1927

 

Barbara und Nick Bagenal

 

Clive Bell, Picasso und Barbara / Barbara und Picasso

 

Barbara in ihrem Haus in Rye, neben sich Duncan Grants Porträt von Lytton Strachey (um 1913)

Barbaras Enkelin Ann erinnert sich an einen Besuch zum Tee bei ihrer Großmutter, wobei sie das Gefühl hatte, Lytton würde bei ihnen sitzen.

 

Raymond Harris Ching: Porträt von Barbara Bagenal


Barbara Bagenal - Veröffentlichungen  / Werke (Auswahl):

Barbara Bagenal et al.: Artists of Bloomsbury. Paintings, Watercolours, and Drawings. Rye, Sussex, Rye Art Gallery, 1967
Barbara Bagenal: Beitrag in Joan Russel Noble (Hg.): Erinnerungen an Virginia Woolf von ihren ZeitgenossInnen. Vorwort von Michael Holroyd. Aus dem Englischem von Susanne Amrain. Daphne Verlag, Göttingen 1994

Barbara Bagenal: Menton, France, Öl auf Karton, ca 1950,

Literatur- und Quellenverzeichnis:

Mary Ann Caws / Sarah Bird Wright: Bloomsbury and France. Art and Friends. Oxford University Press, 2000

Anne Chisholm (Ed.): Carrington's Letters. Vintage Classics, Penguin, London 2017

Ed Glinert: A Literary Guide to London. Penguin Books, 2000

Jane Hill: Dora Carrington. Leben zwischen Kunst und Liebe - eine Biographie. Knesebeck, München 1995

Michael Holroyd: Carrington. Eine Liebe von Lytton Strachey. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995

Michael Holroyd: Lytton Strachey. A Biography. Penguin Books 1971 / archive.org/details/in.ernet.dli.2015.65645/page/n1/mode/2up

Mark Hussey: Clive Bell and the Making of Modernism. A Biography. Bloomsbury Publishing, 2021

Sarah Knights: Bloomsbury's Outsiders. A Life of David Garnett. Bloomsbury Reader, London 2015

Sybil Oldfield (Ed.): Afterwords. Letters on the Death of Virginia Woolf. Rutgers University Press, New Brunswick, New Jersey 2005

Elizabeth P. Richardson: A Bloomsbury Iconography. St Paul's Biobliographies, Winchester 1989

Joan Russel Noble (Hg.): Erinnerungen an Virginia Woolf von ihren ZeitgenossInnen. Vorwort von Michael Holroyd. Aus dem Englischem von Susanne Amrain. Daphne Verlag, Göttingen 1994

Frances Spalding: Vanessa Bell. Eine Biografie. Nostrum Verlag, Mülheim 2016

Frances Spalding: Duncan Grant. Random House, 2011

George Spater & Ian Parsons: Porträt einer ungewöhnlichen Ehe. Virginia & Leonard Woolf. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1980

Virginia Woolf: Tagebücher 1, 1915–1919. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1990

Virginia Woolf: Tagebücher 2, 1920–1924. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994

Virginia Woolf: Tagebücher 3, 1925–1930. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999

Virginia Woolf: Tagebücher 5, 1936–1941. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008

Virginia Woolf: Briefe 1. 1888–1927. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006

Virginia Woolf: Briefe 2. 1928–1942. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006

Yu, Mengting: "A Talented and decorative group". A Re-examination of London's Women Artists, c. 1900-1914. Doctoral thesis, Nanyang Technological University, Singapore 2018, //dr.ntu.edu.sg › bitstream › Mengting_2017 PDF

 

de.findagrave.com/memorial/198335642/barbara-bagenal

gw.geneanet.org/frebault?lang=de&n=hiles&oc=0&p=barbara

www.thepeerage.com/p26501.htm#i265003

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bifmo.history.ac.uk/entry/omega-workshops-1913-1919

www.concertedaction.com/wp-content/uploads/2012/01/Kings-College-Cambridge-Annual-Report-2011.pdf

www.researchgate.net/profile/Maria-Tamboukou/publication/341713938_Visual_Lives_Carrington's_Letters_Drawings_and_Paintings/links/5ed02eb2299bf1c67d26da36/Visual-Lives-Carringtons-Letters-Drawings-and-Paintings.pdf

www.antiques-atlas.com/antique/victorian_oil_painting_coastal_view_by_henry_hiles/as1013a045

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