ELSIE ELIZABETH PHARE

2. Juli 1908 – 7. April 2003

 

Literaturwissenschaftlerin, Dichterin

 

 

Elsie Elizabeth Phare, ab 1933 E. E. Duncan-Jones, wurde in Chelston bei Torquay / Devon geboren und war die Tochter von Hilda Annie, geb. Bull, und Henry (Harry) Phare; ihre Schwester war Marjorie Ruth Clark, geb. Phare. Obwohl die Eltern keine höhere Schulbildung hatten, ermöglichten sie ihrer Tochter den Besuch der Torquay Girls Secondary School; aufgrund ihrer Leistungen ermutigte sie die Schulleiterin Mary Jackson, in Oxford oder Cambridge zu studieren. Ihre erste Reise, die über Exeter hinausging, war im Frühjahr 1926 die Fahrt zu einem Aufnahmegespräch in Cambridge; dank einer Förderung seitens des Landes Devon, gestützt mit einem Stipendium von Newnham, begann sie ihr Studium am Newnham College.
Sie studierte bei Enid Wilsford, der ersten Leiterin der Anglistik Abteilung, und besuchte die Vorlesungen des Literaturkritikers F. R. Leavis, der in Elsies Augen nicht sehr beeindruckend war, eher scheu und sanft, so wie man sich die Gestalt von Shelley vorstellte. Der Literaturkritiker und Rhetoriker Ivor Armstrong Richards, der mit seinen Schriften grundlegend zum "New Criticism" beitrug und als Begründer des Studiums der zeitgenössischen englischen Literatur galt, prägte ihren Zugang zur Literatur;  sie begann sowohl literaturkritische Texte als auch Gedichte zu schreiben und wurde in ihrem dritten Studienjahr von T. H. White, dem Literaturredakteur der StudentInnenzeitschrift The Granta, eingeladen, regelmäßig Buchbesprechungen zu schreiben: ihres Wissens war sie damit die erste Studentin, die für die Zeitschrift schreiben durfte. In der Zeitschrift Experiment veröffentlichte sie literaturwissenschaftlichte Beiträge und Gedichte und gehörte gemeinsam mit Kathleen Raine zu den einzigen Frauen, die hier veröffentlicht wurden. Geprägt wurde sie auch durch befreundete MitstudentInnen wie die Schriftstellerin und Biografin Elizabeth Jenkins, die später aktiv an der Gründung der Jane Austen-Gesellschaft beteiligt war, und dem Dichter und Literaturkritiker William Empson, der ebenfalls bei I. A Richards studierte und Mitbegründer von Experiment war.
Als Vorsitzende der Newnham Literary Society (in Virginia Woolfs Tagebüchern: Vorsitzende der Newnham Arts Society) lud Elsie Phare im Herbst 1928 (20. Oktober) Virginia Woolf zu einem Vortrag ein; Virginia Woolf arbeitete diesen Vortrag gemeinsam mit dem mehr oder weniger gleichen Vortrag am Girton College (26. Oktober) zu ihrem berühmt gewordenen Text "A Room of One’s Own" um. Elsie Phares Eindruck von Virginia Woolf war nicht der beste; sie fand sie überheblich, verglich sie mit den Torquay-Ladies ihrer Kindheit, die sie und ihre jüngere Schwester herablassend als "nur Dorfkinder" behandelt hatten. Woolf schien mehr Interesse daran zu haben, mit ihrer Freundin Pernel Strachey - Direktorin von Newnham - über die  Ehe von T. S. Eliot zu tratschen, als Elsie Phare und ihre Mitstudentinnen kennen zu lernen. Auch das bescheidene Newnham Abendessen, peinvoll beschrieben in "A Room of One’s Own", wurde nicht besser durch die Tatsache, dass sich Virginia und Leonard Woolf um eine Stunde verspäteten.
1929 gewann Elsie Phare die "Chancellor’s Medal for English Verse", eine Auszeichnung die eigentlich nicht für Frauen  vorgesehen war: aber die Jury beurteilte ihr Gedicht "The Bridge", das wie alle andern Beiträge anonym eingereicht worden war, als das "männlichste". Da Frauen in Cambridge kein Diplom für den Studienabschluss erhielten, dürfte sie zu den ersten Nichtgraduierten gehört haben, die vom Senat eine Ehrung erhielten. Eine Schwierigkeit bereitete ihr auch die Kleiderfrage: als Nichtmitglied der Universität hatte sie keine offizielle Kleidung. Obwohl sie mit dem Gedanken spielte, in einem Sommerkleid aufzutreten, gelang es ihrer Tutorin Steele Smith, sie zu einem seriösen Outfit mit schwarzer Jacke und Hut zu überreden.
Um ihren Horizont nach Studienabschluss zu erweitern, setzte sich Pernel Strachey dafür ein, dass sie ein Jahr in Paris verbringen konnte (1929/1930); Elsie hatte keine besondere Freude daran, obwohl sie Persönlichkeiten wie Samuel Beckett traf und ihre Dissertationsarbeit über die Exile englischer Royalisten beendete; die Schriftstellerin Jean Rhys, deren Werk lange Zeit vergessen war und erst in den siebziger Jahren mit der Veröffentlichung von "Sargassomeer" wiederentdeckt wurde, hielt sich zu dieser Zeit mit verschiedenen Jobs über Wasser und tippte die Dissertation. Dieses Jahr in Paris trug aber dazu bei, dass Elsie Phare fließend Französisch lernte und die französische Literatur für sich entdeckte.
Nach ihrer Rückkehr 1931 erhielt sie einen Lehrauftrag am Southampton University College; dort traf sie einen Kollegen aus der Cambridge Zeit, Austin Duncan-Jones, Dozent für Philosophie und Herausgeber der Zeitschrift Analysis. Die beiden heirateten 1933 - Elsie Duncan-Jones wurde als verheiratete Frau von einer Ganztagsbeschäftigung ausgeschlossen, erst 1936 bekam sie wieder einen Teilzeit-Lehrauftrag an der University of Birmingham. Ihr Mann wurde dort Dozent für Philosophie und später Professor. 1937 - schwanger mit ihrem ersten Kind - ersuchte sie um Befreiung vom Lehrunterricht für einige Wochen; diese wurde auch erteilt mit der Bemerkung des Vizerektors, dass ein Mann niemals aus diesen Gründen um so etwas ansuchen würde. Zwei Kolleginnen, Annie Dodds und Helen Gardner, sprangen für sie ein.
Nach dem Ausbruch des Krieges 1939 wurde sie Vollzeit angestellt, bekam 1941 ihre Tochter Katherine und arbeitete bis zu ihrer Pensionierung 1975 in dieser Anstellung; zu dieser Zeit war sie schon fast ein Jahrzehnt verwitwet - Austin Duncan-Jones war 1967 gestorben. Trotz ihres großen Wissens auf dem Gebiet der englischen Literatur und ihrer wissenschaftlichen und pädagogischen Fähigkeiten bekam sie nie eine Professur angeboten.
Nach ihrer Pensionierung lebte Elsie Duncan-Jones in Cambridge; sie fuhr fort zu schreiben und arbeitete bis kurz vor ihrem Lebensende gemeinsam mit Hilton Kelliher an einer Neuausgabe von Andrew Marvells Gedichten. Eine ehemalige Schülerin, Anthea Morrison, begleitete sie liebevoll die letzten Jahre ihres Lebens, als sie größtenteils ans Haus gebunden war. 
Der Schriftsteller David Lodge, ehemaliger Kollege in Birmingham, war ein großer Bewunderer von Elsie Duncan-Jones, er bezeichnete ihre Kenntnis von SchriftstellerInnen des 17. bis 20. Jahrhunderts und die Zuverlässigkeit ihres Gedächtnisses als legendär.
Elsie Phares hinterließ einen Sohn, den Althistoriker Richard Phare Duncan-Jones, und eine Tochter, die Shakespeare-Expertin Katherine Duncan-Jones; ein zweiter Sohn starb im Kindheitsalter.

Elsie Elizabeth Phare, ab 1933 E. E. Duncan-Jones, war eine angesehene Literaturwissenschaftlerin und machte sich mit ihren Arbeiten über die britischen Lyriker Andrew Marvell und Gerard Manley Hopkins einen Namen.
Im Februar 1931 erschien als Nummer 20 im Rahmen der "Hogarth Living Poets, First Series" die 56 Seiten starke "Anthology of Cambridge Women’s Verse", in der auch drei Gedichte von Elsie Phare enthalten waren. Die Anthologie wurde von Margaret Thomas herausgegeben und enthält außerdem Beiträge von Studentinnen des Girton College und des Newnham College: Margaret Diggle, Gwendolen Freeman, Jocelyne Gibson, Alethea Graham, Muriel Hardill, Morwenna Lyne, Helen Megaw, F. Picot, Kathleen Raine und Margaret Thomas; drei Beiträge sind nur mit Initialen der Autorinnen, alle Studentinnen von Newnham, gezeichnet: E. S. D. H., M. N., A. D. W.
Davor hatte Elsie Phare schon regelmäßig Beiträge zur Literatur und eigene Gedichte in den Cambridger Zeitschriften The Granta und Experiment veröffentlicht.
Ihr 1933 publiziertes Buch "The Poetry of Gerard Manley Hopkins" war die erste längere Studie über den britischen Lyriker (1844–1889), der zu seinen Lebzeiten nichts veröffentlicht hatte und erst bekannt wurde, als sein Freund Robert Bridges seine gesamten Gedichte 1918 herausgab. Das Buch bot nicht nur eine hervorragende  Einführung in das Werk Hopkins', sondern leistete auch einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis seiner mitunter schwierigen Texte.
Ihre Faszination für Leben und Werk des metaphysischen Dichters und Politikers Andrew Marvell (1621–1678), ihr tiefes Verständnis für seine Gedichte und Prosa führte zu einer Reihe von Publikationen; 1949 erschien ihr erster Beitrag in Times Literary Supplement, weitere Forschungsergebnisse zu Marvell erschienen in diversen Fachzeitschriften oder in Buchform nahezu während ihres ganzen Lebens.
Darüber hinaus schrieb Elsie Duncan-Jones eine große Anzahl von literaturhistorischen Arbeiten und Essays in Literatur- und Fachzeitschriften: so verfasste sie als eifrige Romanleserin Texte zu Samuel Richardson, Joseph Conrad, T. S. Eliot und Virginia Woolf; mit ihrem unglaublichen Gedächtnis für alles Gelesene konnte sie z. B. in einem Artikel zu Jane Austen darauf hinweisen, das die Schriftstellerin den Namen ihrer Heldin von "Mansfield Park" - Fanny Price - einem Gedicht George Crabbes entnommen hat.
Ihr Leben in Cambridge schilderte sie ironisch in einem autobiografischen Text "From Devon to Cambridge" (1982), an ihre Begegnung mit Virginia Woolf erinnerte sie sich in ihrem Beitrag zu "A Newnham Anthology" (1979) und ihrer Verehrung für ihre Lehrerin Enid Welsford verlieh sie Ausdruck in dem Sammelband "Cambridge Women. Twelve Portraits" (1996).


Literatur- und Quellenverzeichnis:

J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986
"Mrs Woolf Comes to Dine". In: Ann Phillips: A Newnham Anthology. Cambridge University Press, 2010
Wynyard Browne: Introduction to Hopkins. In: The Bookman, Christmas 1933
Nicholas von Maltzahn: Andrew Marvell Chronology. Palgrave Macmillan, 2005
Graham Chainey: A Literary History of Cambridge. Cambridge University Press Archive, 1995
Benjamin Kohlmann: Committed Styles. Modernism, Politics, and Left-Wing Literature in the 1930s. Oxford University Press,  2014
www.smh.com.au/articles/2003/04/27/1051381846616.html
www.telegraph.co.uk/news/obituaries/1428028/Elsie-Duncan-Jones.html
en.wikipedia.org/wiki/Elsie_Duncan-Jones
en.wikipedia.org/wiki/Chancellor%27s_Gold_Medal
www.independent.co.uk/news/obituaries/elsie-duncan-jones-730235.html
familysearch.org/search/collection/results?count=20&query=%2Bgivenname%3A%22Elsie%20Elizabeth%22~%20%2Bsurname%3APhare~%20%2Bgender%3AF&collection_id=1921547
de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Marvell
de.wikipedia.org/wiki/Elizabeth_Jenkins
modmags.dmu.ac.uk/magazine_home6e9c.htm?id=experiment

Porträt Strachey: www.npg.org.uk/collections/search/portraitLarge/mw36582/Joan-Pernel-Strachey
Abb. Experiment: jot101ok.blogspot.co.at/2013/02/misha-black-early-work.html


Im Berliner Verlag Autonomie und Chaos erschien 2022 eine Online-Ausgabe von "Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press" mit zusätzlichen illustrierenden Hintergrundtexten:

 

autonomie-und-chaos.de/die-buecher/helga-kaschl-frauen-in-virginia-woolfs-hogarth-press

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Elsie Phare hatte im Newnham College ein Zimmer im Erdgeschoss von Clough Hall - Anne Jemima Clough war die erste Prinzipalin von Newnham -, das zu ihrem Leidwesen mit einer William Morris-Tapete ("Daisy") tapeziert  war, einem  Muster, das 1926 "out of fashion", aber nur zehn Jahre später wieder als modern galt.

Joan Pernel Strachey

Joan Pernel Strachey, Direktorin von Newnham und Freundin von Virginia Woolf, überredete Elsie Phare nach Abschluss ihres Studiums zu einem Forschungsjahr in Paris; hier schrieb sie nicht nur ihre Dissertation  fertig, sondern entdeckte auch ihr Interesse an französischer Literatur .

Porträt von Joan Pernel Strachey, gemalt 1932 von ihrer Schwägerin, der Feministin Ray Strachey, geb. Costelloe.


The Granta wurde 1889 von Cambridger Studierenden gegründet und hatte ihren Namen von einem Teil des Flusses Cam; oft auch witzig und satirisch beschäftigte sie sich mit politischen und literarischen Themen.

Experiment erschien ab Oktober 1928 in sieben Ausgaben und wurde von William Empson, Hugh Sykes Davies, Humphry Jennings und William Hare herausgegeben. Die eher avantgardistische Zeitschrift veröffentlichte Gedichte, Kurzgeschichten und Texte zu moderner Kunst und Ästhetik ; Elsie Phare und Kathleen Raine waren die einzigen Frauen, die hier publizierten. Der Umschlag der Ausgabe 1928 wurde von dem 18-jährigen Russen Misha Black (1910–1977) entworfen.

Elsie Phare veröffentlichte hier erstmals ihre Gedichte und später in der "Anthology of Cambridge Womens' Verse".


Elsie Elizabeth Phare / Elsie Elizabeth Duncan-Jones - Veröffentlichungen (Auswahl):

"Several White Leopards". In. The Granta, 30 November 1928, Cambridge

"Valery and Gerard Hopkins". In: Experiment 1, November 1928, Cambridge

"Ernest Hemingway". In: Experiment 3, May 1929, Cambridge

"Life", "Open Door", Poems. In: Experiment 5, February 1930, Cambridge

"An Essay on the Devotional Poetry of T. S. Eliot". In: Experiment 6, October 1930, Cambridge

"The Bee" / "The Bridge" / "Let's go a-Maying". In: An Anthology of Cambdrige Women's Verse". Hogarth Living Poets, First Series, No. 20. Hogarth Press, London 1931

The Poetry of Gerard Manley Hopkins. A Survey and Commentary. Cambridge University Press, Cambridge 1933, 2016

"Marvell in 1656". In: Times Literary Supplement, 2 Dec 1949

"Ash Wednesday". In: Balachandra Rajan (Ed.): T. S. Eliot. A Study of His Writings by Several Hands. Dennis Dobson Ltd, 1947

"Notes on Jane Austen". In: Notes and Queries, January 1951

"Milton and Marvell". In: Times Literary Supplement, 31 July 1953

"Jane Austen and Crabbe". In: The Review of English Studies. Oxford University Press, 1954

"Benlowes's Borrowings from George Herbert". In: The Review of English Studies. New Series, Vol. 6, No. 22, April 1955

"Proposals of Marriage in Pride and Prejudice and Pamela. In: Notes and Queries, Feb 1957

"Marvell's 'Friend in Persia'". In: Notes and Queries, 202, Nov. 1957

"Lydia Languish, Lydia Bennet und Dr Fordyce's Sermon". In. Notes and Queries, 11, 1964

"Marvell's Letter to Sir John Trott". In: Notes and Queries, 211, Jan. 1966

"Smart and Marvell". In: Notes and Queries, 212, May 1967

"J. W. and a Lost Portrait of Marvell by Lely". In: Notes and Queries, 213, Nov. 1968

Collaboration with H. M. Margoliouth and Pierre Legouis: The Poems and Letters of Andrew Marvell. Clarendon Press, Oxford 1971

A Great Master of Words. Some Aspects of Marvell's Poems of Praise and Blame. British Academy Warton Lecture on English Poetry, Oxford University Press, 1975

"Mrs Woolf Comes to Dine". In: A Newnham Anthology. Cambridge University Press, 1978

"From Devon to Cambridge, 1926: Or, Mentioned with Derision". In: The Cambridge Review, 26 February 1982

"The Wizard of Finella": Mansfield Forbes and his Cambridge. In: London Reviews of Books, Vol. 7, No. 1, 24 January 1985

"Dryden, Benserade, and Marvell". In: Huntington Library Quarterly, Vol. 54, No. 1, Winter 1991

"Marvell, R. F. and the Authorship of ,'Blake's Victory'". In: English Manuscript Studies 1100-1700, 5, 1995

"Enid Welsford". In: Edward Shils / Carmen Blacker (Ed.): Cambridge Women. Twelve Portraits. Cambridge University Press, 1996