VIOLA TREE

17. Juli 1884 –15. November 1938

 

Schauspielerin, Sängerin, Schriftstellerin

 

 

"ein extravagantes Geschöpf, ... von jener großen Exzentrik, einer Aufblähung des Selbst, die wohl jede Art von Körperdarstellung erzeugt" (Virginia Woolf, Tagebücher 3, 20. Mai 1926)

 

Viola Tree war die älteste der drei Töchter des Schauspielerehepaars Helen Maud Holt (1863–1937) und Herbert Beerbohm Tree (1853–1917). Ihre Mutter hatte am Queen's College Altphilologie studiert, war Schauspielerin und ebenso wie ihr Mann begeistert von dem neuen Medium Film; ihr Vater Herbert Beerbohm Tree war Bühnen- und Filmschauspieler sowie Theaterdirektor, gründete die Academy of Dramatic Art und spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte des britischen Theaters.

Viola Tree verehrte ihren Vater und sie wiederum war seine Lieblingstochter; ihre Schwester Felicity Constance (1894–1978) trat schon als Vierzehnjährige in einem Theaterstück auf, spielte aber vorwiegend eine Rolle in der Highsociety und heiratete 1915 Sir Geoffrey Cory-Wright; ihre jüngste Schwester Iris Tree (1897–1968) besuchte die Slade School of Art, schrieb Gedichte und wurde in zahlreichen Gemälden, Fotografien und Skulpturen abgebildet (Vanessa Bell, Jacob Epstein, Roger Fry, Duncan Grant, Augustus John, Modigliani, Man Ray); in erster Ehe war sie mit dem Künstler Curtis Moffat verheiratet, in zweiter Ehe mit dem Schauspieler Friedrich von Ledebur. Die drei Schwestern hatten auch noch eine Anzahl von Halbgeschwistern: u. a. hatte ihr Vater sechs uneheliche Kinder aus seiner langjährigen Beziehung mit Beatrice May Pinney (1871–1955): Claude (1891), Guy (1905), Carol (1906), Juliet (1910) und Peter (1911); im Laufe der Beziehung änderte Beatrice Pinney ihren Namen in Reed: "I am but a broken Reed at the foot of the mighty Tree".

Alle drei Schwestern wurden zu Hause von einer großen Anzahl wechselnder Gouvernanten erzogen und unterrichtet, da die Eltern einen Schulunterricht ablehnten. Viola Tree zeigte schon früh Interesse fürs Theater und wurde Studentin der Academy of Dramatic Art, die ihr Vater 1904 gegründet hatte. Im selben Jahr hatte sie auch ihr erstes erfolgreiches Debut als Viola in Shakespeares "Was ihr wollt" ("Twelfth Night"), produziert von ihrem Vater.

In den nächsten Jahren spielte sie in einer Reihe von Shakespeare-Stücken, die ihr Vater am His Majesty's Theatre produzierte. Trotz begeisterter Kritiken entschloss sie sich 1908 eine musikalische Karriere anzustreben und begann 1908 am Royal College of Music zu studieren; während des Studiums trat sie in öffentlichen College-Veranstaltungen und Konzerten auf und bekam 1910 erste große Rollen in Christoph Willibald Glucks Opern "Iphigenie auf Tauris" und "Orpheus und Eurydike" am Londoner Savoy Theatre.

Um ihre Stimme weiter ausbilden zu lassen, verbrachte sie zwischen 1910 und 1912 einen Großteil der Zeit in Italien; sie musste aber nach mehreren Auftritten erkennen, dass sie - wie Richard Strauss nach einem Vorsingen meinte - wie eine gute Schauspielerin singen konnte, aber nicht wie eine Sängerin.

Während ihrer Italienaufenthalte stand Viola Tree schon in engem Kontakt mit Alan Leonard Romaine Parsons (1889–1933), Sohn eines Geistlichen aus Surrey, der in Oxford studiert hatte, Sekretär des liberalen Ministers Reginald McKenna war und Theaterkritiker bei Daily Mail wurde. Die beiden heirateten im Juli 1912 in St Martin-in-the-Fields am Trafalgar Square: eine der Brautjungfern war Lady Diana Manners, Gesellschaftslady aus dem Kreis um Iris Tree und Nancy Cunard, Trauzeuge des Bräutigams war sein Freund aus Oxfordtagen, der Großwildjäger Denys Finch Hatton. Das Paar bekam drei Kinder: Denys Alexander (1914), Ian David (1915), der unter dem Namen David Tree als Theater- und Filmschauspieler bekannt wurde, und Virginia Penelope Parsons (1917), die an der Slade School of Art studierte und Viola Trees Buch "Can I Help You" illustrierte.

Trotz Familie mit drei Kindern gelang es Viola Tree ihre Karriere fortzusetzen; 1919 übernahm sie das Aldwych Theatre an der Drury Lane, wo sie 1921 mit Louis Calvert Shakespeares "Der Sturm" ("The Tempest) erfolgreich inszenierte. 1923 spielte sie ihre letzte Rolle in einem Shakespeare-Stück, die Helena in "Ein Sommernachtstraum" ("A Midsummer Night's Dream"). Auf einer Tournee in den USA trat sie 1930/31 im Ethel Barrymore Theatre in New York und in The Ziegfeld Follies in Pittsburgh auf.

Zwischen 1920 und 1938 übernahm sie auch Rollen in Spielfilmen: "Masks and Faces" (1917), "Unmarried" (1920), "For the Love of Mike" (1933), "Heart's Desire" / "Wien, Wien - nur du allein" (1935) und "Pygmalion" (1938).

1933 starb Alan Parsons, er hatte sein ganzes Leben unter Asthma und Bronchitis gelitten; im November 1938 starb Viola Tree an Rippenfellentzündung. Ihr Grab liegt am Londoner St John-at-Hampstead Churchyard.

 

Gemeinsam mit Gerald du Maurier - Schauspieler, Theaterintendant und Vater von Daphne du Maurier - schrieb Viola Tree unter dem Namen Hubert Parsons das Theaterstück "The Dancers": es wurde am Londoner Wyndham's Theatre aufgeführt und war mit einer Laufzeit von über dreißig Wochen äußerst erfolgreich; besonderes Aufsehen erregte der indische Tanz von Tallulah Bankhead, bei dem sie ein Kostüm aus Federn und Juwelen trug. Als Filmdrama erschien "The Dancers" in Amerika; es wurde von der Fox Film Corporation 1925 als Stummfilm und 1930 als Tonfilm produziert.

1925 kam Viola Trees Theaterstück "The Swallow" im Londoner Everyman Theatre auf die Bühne und erlebte fünf Aufführungen: ein Stück, in dem eine Frau aus ihrer Ehe ausbricht, einem Faschisten nach Italien folgt, dort scheitert und wieder zurückkehrt in ihr altes Leben.

Im April 1926 erschien "Castles in the Air" in der Hogarth Press; mit Briefen, Tagebuchauszügen, Erinnerungen und Fotos lässt Viola Tree die Zeit lebendig werden, in der sie vom Schauspiel zum Gesang wechselte. Für das über 300 Seiten starke Buch erstellte Virginia Woolf das Register und klagte ihrer Freundin Vita Sackville-West, dass sie, "der ganze Boden wie beim gelehrten Schwein mit Papierschnipsel übersät, einen Index für Viola anfertigte" (Virginia Woolf: Briefe 1, S. 440). Der Erscheinungstermin fiel unglücklicherweise in die Zeit des neuntägigen Generalstreiks, so dass die Auslieferung erschwert wurde und sich der Verkauf vorerst schleppend gestaltete. In der Folge entwickelte sich der Absatz aber positiv und es wurde nach der ersten Auflage von 1200 Stück eine zweite Auflage nachgedruckt.

1926 wurden drei Beiträge von Viola Tree in der britischen Ausgabe von Vogue veröffentlicht, im selben Jahr erschien auch ein Artikel über sie und ihre Schwester Iris Tree; die Zeitschrift wurde von Dorothy Todd herausgegeben und hatte eine Reihe von bekannten Namen als MitarbeiterInnen: so veröffentlichten darin u. a. Richard Aldington, Clive Bell, Stella Benson, Francis Birrell, Roger Fry, David Garnett, Duncan Grant, Aldous Huxley, Mary MacCarthy, Ottoline Morrell, Raymond Mortimer, Edwin Muir, Man Ray, Dorothy Richardson, Bertrand Russell, George Rylands, Vita Sackville-West, Edith Sitwell, Virginia und Leonard Woolf.

Im Oktober 1937 erschien in der Hogarth Press mit einer Auflage von 2000 Stück eine Art Selbsthilfe-Buch ("Can I Help You"), das aus einer Kolumne entstand, die Viola Tree jahrelang für Sunday Dispatch schrieb. Das Buch war eine Mischung zwischen eigenen Lebenserfahrungen, Ratschlägen und Briefausschnitten von LeserInnen, die Hilfe suchten. Fazit des Buches: Gute Manieren und feines Benehmen bedeuten, es zu vermeiden, anderen Schmerz zuzufügen. Virginia Parsons illustrierte das Buch ihrer Mutter mit liebevollem und teils ironischem Blick auf die jeweiligen Lebenssituationen.

Im selben Jahr erschien eine von Viola Tree herausgegeben Biografie ihres Mannes bei Heinemann ("Alan Parson's Book"); sie hatte das Buch 1935 erfolglos der Hogarth Press angeboten, nach Virginia Woolfs Meinung war es ein "rubbish heap". Das Buch war eine Mixtur aus Familienstammbüchern, Sammelalben, Gedichten von Freunden und Alan Parsons Alltagsnotizen; einen einleitenden Brief schrieb ein Onkel von Viola Tree, der Kritiker und Karikaturist Max Beerbohm.


Literatur- und Quellenverzeichnis:

J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986

Virginia Woolf: Briefe 1. 1888–1927. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006

Virginia Woolf: Tagebücher 3, 1925–1930, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999

The Letters of T. S. Eliot. Volume 2, 1923–1925. Faber & Faber 2011

Robert Sellers: What Fresh Lunacy is This? The Authorized Biography of Oliver Reed. Hachette, 2013

Maggie Gale: West End Women. Women and the London Stage 1918–1962, Routledge, 2008

Derek Ryan, Stella Bolaki (Ed.): Contradictory Woolf. Oxford University Press, 2012

Amanda Juliet Carrod: "A Plea for a Renaissance": Dorothy Todd's Modernist Experiment in British Vogue, 1922–1926. Diss. June 2015, Keel University (PDF) / eprints.keele.ac.uk/2340/1/CarrodPhD2015.pdf

shakespeare.emory.edu/sir-herbert-beerbohm-tree/

shakespeare.emory.edu/viola-tree/

en.wikipedia.org/wiki/Viola_Tree

en.wikipedia.org/wiki/Helen_Maud_Holt

de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Beerbohm_Tree

en.wikipedia.org/wiki/Felicity_Tree

en.wikipedia.org/wiki/Iris_Tree

www.myheritage.com/names/denys_parsons

orlando.cambridge.org/public/svPeople?person_id=treevi

www.modernistarchives.com/person/viola-tree

www.yesterdaysgallery.com/advSearchResults.php?authorField=Hubert+PARSONS&action=search

www.wyndhamstheatre.co.uk/

www.bfi.org.uk/films-tv-people/4ce2ba988cfe4

www.imdb.com/name/nm0871689/

www.npg.org.uk

Viola Tree um 1905 und 1923

His Majesty's Theatre / Savoy Theatre



Viola Tree - Veröffentlichungen (Auswahl):

Hubert Parsons (= Viola Tree & Gerald du Maurier): The Dancers. The Beginning and the End of the Story in the Play. Hodder and Stoughton, London 1923 / The Dancers. Illustrated with Scenes from the William Fox Photoplay. Grosset and Dunlop, New York 1923 / The Dancers. Alfred A. Knopf, New York 1923

"The Frocks of To-day". Evening Standard, 20. Oct. 1924

(as Violet Ray) "The Stage: An Uninteresting Era". Criterion 3, 10 Jan. 1925

Castles in the Air. The Story of my Singing Days. Hogarth Press, London 1926 / George H. Doran, New York 1926

"Let's Live in Nassau". Vogue, Early January, London 1926

"The Circus and its Pleasure". Vogue, Early February, London 1926

"Florida". Vogue, Early March, London 1926

Can I Help You? Your Manners - Menus - Amusements - Friends - Charades - Make-Ups - Travel - Calling - Children - Love Affairs. Illustrated by Virginia Penelope Parsons. Hogarth Press, London 1937

(Ed.): Alan Parsons' Book. A Story in Anthology. W. Heinemann, 1937


Bildnachweis:

Viola Tree um 1905: Foto von  Bassano Ltd, published by The Rotophot Postcard, NPG x198052, © National Portrait Gallery, London

Viola Tree 1923: Foto von Bassano Ltd., NPG x83497, © National Portrait Gallery, London

His Majesty's Theatre: commons.wikimedia.org/wiki/File:Hedley_Fitton09.jpg, By Hedley Fitton (1857–1929), "The Strand Magazine" vol XIII

Savoy Theatre: commons.wikimedia.org/wiki/File:1881_Savoy_Theatre.jpg


Helga Kaschl: Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press. Verlag Autonomie und Chaos, Berlin 2022

Im Berliner Verlag Autonomie und Chaos erschien 2022 eine Online-Ausgabe von "Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press" mit zusätzlichen illustrierenden Hintergrundtexten:

 

autonomie-und-chaos.de/die-buecher/helga-kaschl-frauen-in-virginia-woolfs-hogarth-press

oder

d-nb.info/1262912083/34

 

Das Buch kann kostenlos gespeichert und bei Bedarf ausgedruckt werden (448 Seiten, Format A4).