IRENE COOPER WILLIS

19. Juni 1882 – 1970

 

Schriftstellerin, Anwältin, Feministin, Friedensaktivistin

 

Irene Cooper Willis war die Tochter von Ellen Irene Brook und Edward Cooper Willis, Londoner Rechtsanwalt in 5 King's Bench Walk, Temple. Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Lynette (später Mrs. Hemmant) besuchte sie die Blackheath Highschool und von 1901 bis 1904 das Girton College, Cambridge; Irene und Lynette studierten Mathematik und schlossen 1904 mit einem BA ab. Lynette heiratete 1905 den Rechtsanwalt Daniel Ground Hemmant, studierte Medizin am King's College und wurde Ärztin mit Schwerpunkt Venerologie. Über das Folgestudium von Irene konnte nichts Konkretes gefunden werden, ab 1924 war sie aber Rechtsanwältin am Inner Temple, London. Beide hatten 1946 die Adresse: 11 King's Bench Walk, Temple.

Eine Freundin, die Schriftstellerin Enid Bagnold, beschreibt Irene als ernst, scheu und klug, sehr gerecht, schön mit ihrem dunklen Haar, das sich über den Ohren kräuselte und mit Kämmen zusammen gehalten wurde. Irene setzte sich für Sozialismus, Pazifismus und Feminismus ein und schloss sich als leidenschaftliche Kriegsgegnerin, gemeinsam mit Vernon Lee, der 1914 gegründeten Union of Democratic Control (UDC) an, einer Gruppe, die Kritik an der Kriegspolitik der Regierung übte; sie wurde Vorstandsmitglied und arbeitete eng mit Helena Swanwick und Mary Agnes Hamilton zusammen; ein weiteres Vorstands- und Gründungsmitglied war Charles Philips Trevelyan, mit dessen Familie Irene befreundet war: der Dichter R. C. Trevelyan schenkte ihr Widmungsexemplare seiner Bücher, der Historiker George Macaulay Trevelyan gehörte zu den Gründern des British Institute von Florenz, dem sie später die Bibliothek von Vernon Lee übergab.

Von 1915 bis 1919 war sie unter der Präsidentschaft von Helena Swanwick und Vizepräsidentschaft von Maude Royden ehrenamtliche Mitarbeiterin der Britischen Sektion von Women's International League for Peace and Freedom (WILPF), 1915 gehörte sie dem Britischen Komitee für den Internationalen Frauenkongress in Den Haag an.

1911 hatte Irene Vernon Lee (Violet Paget) kennen gelernt und war bis zu ihrem Tod Begleiterin und Mitarbeiterin der als vereinnahmend, dominant und streitsüchtig bekannten Schriftstellerin und Intellektuellen. Trotzdem behielt sie ihre Selbstständigkeit und verfolgte ihren Weg als Autorin und zukünftige Anwältin.

1914 lud Lady Ottoline Morrell ihre Freundin Vernon Lee und Irene zum Essen am Bedford Square ein und beschloss, Irene mit Hilfe ihres Freundes und Geliebten Bertrand Russell aus der Abhängigkeit von Vernon Lee zu befreien. Gegen den Willen von Vernon Lee wurde sie Russells Teilzeit-Assistentin, recherchierte für sein geplantes Werk "Prinzipien und Praxis in der englischen Außenpolitik" im Britischen Museum und durchforstete die alten Ausgaben der Times über Großbritanniens diplomatische Beziehungen seit 1906. Nachdem ihr Russell sexuell zu nahe trat, zog sich Irene sowohl aus der beruflichen als auch privaten Beziehung zurück.

Anfang 1924 machte sie die Abschlussprüfung für die Honorable Society of the Inner Temple, eine der vier Anwaltskammern in England, und wurde als Anwältin aufgenommen; sie hatte Erfolg in ihrem Beruf und war von 1934 bis 1945 stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsgerichts.

Sie war die Rechtsanwältin und Freundin der Kostümbildnerin und Frauenrechtlerin Edith Ailsa Craig, Tochter der Schauspielerin Ellen Terry, die nach dem Tod der Mutter auf ihrem Anwesen Smallhythe Place in Kent, das Barn Theatre gründete.

Vernon Lee starb 1935 und Irene war die einzige Begünstigte und Testamentsvollstreckerin; sie erbte das Copyright und wahrscheinlich auch das von Vernon Lees Halbbruder Eugene Lee-Hamilton, der bereits 1907 verstorben war. 1935 übergab sie über vierhundert, zum Teil mit Anmerkungen versehene Bücher aus Vernon Lees Bibliothek in der Villa Il Palmerino dem British Institute von Florenz; der Großteil des Nachlasses kam an das Colby College (Waterville, Maine, USA), da Irene - nach den kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa - Amerika für einen sicheren Aufbewahrungsort hielt, Teile gingen an das Somerville College.

Sie wurde 1937 Testamentsvollstreckerin von Thomas Hardy nach dem Tod seiner zweiten Frau Florence - einer Freundin von Irene - und übergab seinen Nachlass nach und nach der Thomas Hardy Memorial Collection am Dorset County Museum in Dorchester.

 

In den Jahren 1919 bis 1921 verfasste Irene Cooper Willis drei Analysen des Ersten Weltkrieges - wie kam es dazu, wie gingen wir damit um, wie kamen wir davon -, die später in dem Band "England's Holy War", gewidmet Vernon Lee, 1928 zusammengefasst wurden.

Es wird ihr auch zugeschrieben, unter dem Pseudonym Althea Brook 1923 bei William Heinemann den Roman "The Green-Eyed Monster" veröffentlicht zu haben, in dem sie u. a. Bertrand Russell und Desmond MacCarthy auftreten lässt.

Danach veröffentlichte sie zwischen ab 1927 mehrere biografische Werke und kümmerte sich um den Nachlass von Vernon Lee. In ihrer ersten biografischen Arbeit schildert sie das Leben von "Montaigne",  nicht wie allgemein üblich anhand der Lebensdaten, sondern in Bezug auf seine Werke. Für ihre einfühlsame Studie über Elizabeth Barrett Brownings Leben und Schreiben verwendete sie Briefe der Brownings, von R. H. Horne und Mary Russell Mitford. Grundlage für ihre Recherchen zu "Florence Nightingale" waren Briefe und Papiere aus der 1913 erschienenen, umfangreichen Biografie von Sir Edward Cook (The Life of Florence Nightingale. Macmillan and Co., London 1913 / archive.org); in ihrem Vorwort betonte sie, wie schwer es am Anfang für Nightingale gewesen sein musste, sich aus den familiären Bindungen zu befreien und einen "Raum für sich" zu finden.

Sie beschäftigte sich mit den Bronte-Schwestern; so las sie im Juni 1930 im BBC-Regionalradio von Davebtryy aus "Jane Eyre" von Charlotte Bronte. Ihre kritische Studie zu Anne, Emily und Charlotte Bronte erschien 1933 und kam bis heute in zahlreichen Neuauflagen auf den Markt.

Im März 1936 erschien in der Hogarth Press "The Authorship of Wuthering Heights", in dem sie - gut recherchiert und flüssig geschrieben - Emily Brontes Bruder Branwell als Mitautor ausschließt; der Text ist ein wissenschaftlicher und feministischer Angriff auf Kritiken, die die Kraft und Genialität von "Wuthering Heights" keiner Frau zutrauen wollten. Das Buch erschien in einer Auflage von 1200 Stück, war in graues, schwarz bedrucktes Leinen gebunden und hatte einen schwarz bedruckten grünen Schutzumschlag.

Als Juristin arbeitete sie an der siebten Ausgabe des 1844 erstmals erschienenen Standardwerkes "Thomas Jarman: A Treatise on Wills" mit.


Literatur- und Quellenverzeichnis:

J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986

Girton College Register 1869–1946. Cambridge 1948

Ursula Voss: Bertrand Russell und Lady Ottoline Morrell. Rowohlt - Berlin Verlag, Berlin 1999

Nicholas Griffin (Ed.): The Selected Letters of Bertrand Russell. The Public Years, 1914–1970. Psychology Press, 2002

Ray Monk: Bertrand Russell. The Spirit of Solitude, 1872–1921. Jonathan Cape, 1996

Helen Southworth (Ed.): Leonard & Virginia Woolf. The Hogarth Press and the Network of Modernism. Edinburgh University Press 2012

Vineta Colby: Vernon Lee. A Literary Biography. University of Virginia Press, 2003

Sharon Ouditt: Women Writers of the First World War. An Annotated Bibliography. Routledge, 2002

The Women Teacher. The Organ of the National Union of Women Teachers. January 25, 1924 (pdf)

www.wilpf.org.uk/history/

ioearc.da.ulcc.ac.uk/7940/1/TheWomanTeacherVol5No16.pdf

www.kingscollections.org/catalogues/kclca/collection/k/1ki40220/

web.colby.edu/csc-history-of/the-people/highlighted-donors/i-c-willis-donor/

www.britishinstitute.it/en/archive/the-archive/vernon-lee-collection

www.peterharrington.co.uk/cheiron.html

 

Bildnachweis:

5 King's Bench Walk: Foto: Henry Dixon, 1880, British Library, Online Gallery

Barn Theatre:  "Interior of the Barn Theatre", Gemälde von Clare Atwood, 1939

 

In 5 King's Bench Walk wuchsen Irene und ihre Zwillingsschwester Lynette auf. King's Bench Walk geht auf einen Entwurf des Astronomen und Architekten Sir Christopher Wren

(1632–1723) zurück.

 

 

"Interior of the Barn Theatre", Gemälde von Clare Atwood, 1939 von links nach rechts: Edith Craig, Irene Cooper Willis, Charles Staite

Edith (Edy) Craig gründete nach dem Tod ihrer Mutter Ellen Terry 1929 das Barn Theatre in Smallhythe; sie lebte dort mit ihren Freundinnen Claire Atwood und Christopher St. John (=Christabel Marshall) und veranstaltete Theaterabende und Lesungen; u. a. las Vita Sackville West ihr Gedicht "The Land" im Barn Theatre, das in der Nähe ihres Wohnsitzes Sissinghurst lag.

Das Barn Theatre ist heute im Besitz des National Trust und wird weiterhin als Veranstaltungsort genutzt.


Irene Cooper Willis - Veröffentlichungen (Auswahl):

"The Parallel of the Great French War". In: Towards A Lasting Settlement. George Allen & Unwin, London 1915

How We Went into the War. National Labour Press, Manchester, London 1919

How We Got On with the War: A Further Study of Liberal Idealism. National Labour Press, Manchester, London 1920

How We Came Out of the War. International Bookshops Ltd., 1921

(Ed.) The Speeches of Charles James Fox During the French Revolutionary Period. Everyman's Library. E. P. Dutton, 1924

Montaigne. Alfred A. Knopf, New York 1927

Elizabeth Barrett-Browning. Gerald Howe, 1928

England's Holy War. A Study of English Liberal Idealism During the Great War. Alfred A. Knopf, London 1928 / Kindle Edition GogLiB 2020

(Ed.) A Vernon Lee Anthology. Selections from the Earlier Works. John Lane, The Bodley Head Ltd. 1929 / Ardley Press, 2015

(Ass. Ed.) Thomas Jarman: A Treatise on Wills, 7. Ed., Ed. by Charles Percy Sanger. Sweet & Maxwell, London 1930

Florence Nightingale. A Biography. A. L. Burt, New York 1931 / George Allen and Unwin, London 1931

The Brontes. Great Lives, Duckworth, London 1933

"Vernon Lee". In: The Times , 16 February 1935, 17

The Authorship of Wuthering Heights. Hogarth Press, London 1936

"Preface" in: Vernon Lee’s Letters. Privately Printed in 1937

An Essay on Thomas Hardy (1940). Thomas Hardy Society, 1981

"The Squares". In: Edy. Recollections of Edith Craig. Frederick Muller, London 1949

 


Helga Kaschl: Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press. Verlag Autonomie und Chaos, Berlin 2022

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