Mary Campbell

1898 - 27. Februar 1979

 

Malerin, Übersetzerin

 

 

Mary Margaret Garman Campbell war die älteste Tochter von Margaret Frances Magill und Walter Chancellor Garman, einem Arzt, der ab 1884 erster Amtsarzt von Wednesbury (West Midlands) war. Der Vater regierte seine Familie mit strenger Hand, die Mutter, sechzehn Jahre jünger als ihr Mann, war tief religiös und überließ es der Gouvernante, Miss Thomas, sich um die praktischen Dinge und um die Erziehung ihrer neun Kinder zu kümmern. Die auffallend gut aussehenden Geschwister (sieben Mädchen und zwei Buben) sollten später im politischen und kulturellen Leben Großbritanniens eine bemerkenswerte Rolle spielen.

Mary wuchs auf dem Familiensitz Oakeswell Hall in der Kleinstadt Wednesbury auf, in einem privilegierten Umfeld mit Hausangestellten, Kindermädchen und Gouvernanten. Sie war sportlich - spielte Tennis und Golf, musikalisch - sang und spielte Gitarre, und war künstlerisch begabt. Mit achtzehn lernte sie Autofahren und chauffierte ihren Vater zu seinen Arztbesuchen. Sie wurde religiös erzogen, lehnte sich aber zunehmend gegen die Eltern auf: um französische Romane, Zigaretten oder Alkohol, Seidenschals u.ä. finanzieren zu können, machte sie Gegenstände des Hauses zu Geld, wobei sie in ihrer jüngeren Schwester Kathleen eine Hauptverbündete fand. Nach dem Besuch einer Mädchenschule in Abbots Bromley belegten sie Kurse in Birmingham - Mary wählte Kunst und Kathleen Musik. Schwärmte Mary als junges Mädchen noch für den örtlichen Pfarrer, verliebte sie sich mit siebzehn in die Kunstlehrerin ihres Internats.

1919 rebellierten Mary und Kathleen und gingen von zu Hause weg, kamen - mittellos - in London an und bezogen ein Einzimmer-Studio in 13 Regent Square, Ecke Bloomsbury; nicht weit davon hatte Virginia Woolfs Schwester Vanessa Bell die Wohnung von James Strachey bezogen. Ihren Unterhalt verdienten sie, indem Mary einen Lieferwagen für Lyon's Corner House fuhr und Kathleen die Kutschpferde von Harrod's betreute; außerdem arbeiteten beide Schwestern dank ihrer auffallenden Schönheit als Künstlermodelle. Der Vater hatte schließlich ein Einsehen und gab ihnen eine Zulage, die es ihnen ermöglichte The Heatherley School of Fine Art zu besuchen: die Schule war 1845 gegründet worden und war die erste, in der Frauen und Männer gemeinsam unterrichtet wurden. In einer Mitschülerin, Jeanne Hewitt, fand Mary eine enge Freundin; Jeanne heiratete später Marys Bruder Douglas Garman.

Die Schwestern besuchten regelmäßig die Stammlokale der Kunst- und Kulturschaffenden und fanden bald Zugang zu Kreisen in denen u. a. Maurice Baring, Aleister Crowley, Jacob Epstein, E.M. Forster, Roger Fry, Nina Hamnett, Augustus John, John Maynard Keynes, D.H. Lawrence, Percy Wyndham Lewis, Bernard Meninsky, die Geschwister Sitwell, Lytton Strachey, Virginia und Leonard Woolf verkehrten. Dazu gehörten das berühmte Cafe Royal in der Regent Street, das vom Österreicher Rudolf Stulik gegründet wurde und The Eiffel Tower in der Percy Street; beliebter Treffpunkt vor allem für ärmere Künstler:innen war auch der Harlequin Club in der Beak Street, mit Wandbemalungen von Alvaro de Guevara, bei deren Entstehung der südafrikanische Dichter Roy Campbell mithalf; im Harlequin lernte Marys Schwester Kathleen Jacob Epstein kennen, der ihr Lebenspartner, Vater ihrer Kinder und später auch ihr Ehemann wurde.

Unter den zahlreichen Verehrern von Mary und Kathleen war z.B. der Komponist Bernard van Dieren, der - obwohl verheiratet - Mary so lange den Hof machte, bis er in die Wohnung der Schwestern eingeladen wurde; er bekochte sie, schrieb ihr Briefe und widmete ihr Songs. Der Maler Bernard Meninsky, Lehrer an der Westminster School of Art, verehrte Mary und porträtierte sie mehrmals. Aus Mitleid nahmen die Schwestern Stuart Gray, einen verarmten Freund Roy Campbells auf und ließen ihn im Kohlenkeller wohnen; als Campbell ihn besuchte, öffnete ihm - so in seiner Autobiographie - die schönste junge Frau, die er je gesehen hatte, die Tür und es schien ihm, dass er sie ein Leben lang gekannt hatte: es war Liebe auf den ersten Blick. Campbell, begabt, mittellos, um drei Jahre jünger, war eine schwierige, zwiespältige Persönlichkeit: er prahlte gerne, schimpfte über seine Freunde, über England im Allgemeinen, weil es hier keine echten Männer gäbe, und trank maßlos. Nina Hamnett beschrieb ihn als schönen jungen Mann, der wunderbare grauen Augen mit langen schwarzen Wimpern hatte und mit einer seltsamen rauen Stimme und einem lustigen Akzent sprach. Campbell zog bei Mary und Kathleen ein, las den Schwestern seine Gedichte vor und erzählte ihnen von seinen Abenteuern in der Provence und im südafrikanischen Busch. Im hohen Alter erzählte Mary ihrer Tochter Tess, wie sie versuchten, den Konventionen zu entkommen und meinte mit einem gewissen Stolz "Roy und ich waren die ersten Hippies".

Nachdem Mary nur nach zwei Monaten Beziehung Roy ihren Eltern vorgestellt hatte, verbrachten sie Weihnachten 1921 bei Augustus John und Dorelia McNeill in Alderney Manor, Parkstone, Dorset; weitere Gäste waren Sophie Federovitch, Fanny Fletcher, Viva King, Francis Macnamara, Trelawney Dayrell Reed. Nach einer durchfeierten Nacht beschlossen sie, Mary und Roy zu verheiraten und inszenierten ein Art Scheinhochzeit. Die offizielle Hochzeit fand dann Anfang 1922 in der Kirche von Wednesbury statt.

Das Paar bezog eine Wohnung im vierten Stock oberhalb des Harlequin Clubs; Campbell, der eine sehr konservative Einstellung in Bezug auf das Frau/Mann-Verhältnis in der Ehe hatte, forderte Gehorsam ein und demonstrierte seine Macht indem er Mary kurzerhand aus dem Wohnungsfenster hielt.

Aus finanziellen Gründen übersiedelte das Paar an die westlichste Südspitze der Lleyn-Halbinsel von Wales, nahe dem Dorf Aberdaron, etwa 24 km entfernt von der nächsten Bahnstation Pwllheli; sie mieteten um jährlich 36 Shilling einen primitiv ausgebauten Stall, Ty Corn. Das Leben an diesem einsamen Ort kostete fast nichts, die Nachbarn aus der Umgebung schenkten ihnen zur Begrüßung Kartoffeln, Hühner, Torf zum Heizen und ein unbekannter Spender - Campbell vermutete seinen Vater - überwies ihnen monatlich 10 Pfund. Die nächsten zwei Jahre lebten sie von Kaninchen, Hasen, Ziegen, Fasanen, Eiern der Seevögel, Fischen und Hummer, legten einen Gemüsegarten an und waren glücklich. Mary bekam im November 1922 - in einer stürmischen Nacht - Tess, ihr erstes Kind, Roy schrieb und beendete seinen Gedichtband "The Flaming Terrapin". Im Frühling 1923 kehrte Mary mit Mann und Kind in die Zivilisation zurück; sie mieteten sich in der Charlotte Street 90 im Londoner Bezirk Fitzrovia ein.

Im Mai 1924 fuhr Roy Campbell nach Südafrika, Mary kam im Dezember nach und unterstützte ihn bei der Herausgabe und Herstellung der mittlerweile von Roy, William Plomer und Laurens van der Post gegründeten Kulturzeitschrift "Voorslag", die der rassistischen Gesellschaft Südafrikas kritisch gegenüber stand. Anfangs lebten sie bei seinen Eltern in Durban, übersiedelten aber bald in ein Cottage im Norden der Umhlanga Lagoon, und dann nach Sezela, in ein Haus nahe der Küste, das von Wellenbrechern erschüttert wurde und in einer nicht ungefährlichen Gegend mit Schlangen lag. Nach der Geburt ihrer Tochter Anna und nach Einstellung der Zeitung, die wegen ihrer Orientierung nicht mehr finanziert wurde, kehrte die Familie im Dezember 1926 - nahezu mittellos - nach England zurück.

Sie lebten kurzfristig in London und und übersiedelten dann mit den Kindern in ein kleines Cottage in Kent; im Mai 1927 lernten sie Vita Sackville-West und ihren Mann Harold Nicolson kennen, die in der Nähe von Sevenoaks ihren Wohnsitz Long Barn hatten. Vita lud sie zu einem Abendessen mit Richard Aldington, Virginia und Leonard Woolf ein, bei einem weiteren Essen trafen sie Eddy Sackville-West und David Garnett. Ab September trafen sich Mary und Vita regelmäßig und es entwickelte sich eine vielschichtige, leidenschaftliche Beziehung, die auch eine mütterliche Komponente hatte - "Niemand kann die Zartheit einer Geliebten ermessen, die sich plötzlich dazu herablässt, mütterlich zu sein" schrieb Mary an Vita.

Anfang Oktober überließ Vita den Campbells mietfrei das Gärtnerhäuschen von Long Barn. Nachdem Roy Campbell über die Beziehung erfuhr, kam es zu Streitigkeiten und Gewaltausbrüchen zwischen Vita, Mary und Roy, zu Diskussionen und Eifersucht zwischen Vita und Virginia Woolf, die ebenfalls in enger Beziehung zu Vita stand. Virginia hielt ihr

"einen Vortrag über ihr nonchalantes Verhalten gegenüber den Campbells ... Mrs C. bekommt Schläge von ihrem Mann, bloß weil Vita im Triumph mit ihrem Silber & Adelszacken & ihren Lakaien in das Leben einer Heringsköchin einzieht." (VW Tagebücher 3, S. 278).

Obwohl Mary leidenschaftlich verliebt war und ihre Ehe in einer Krise stand, entschloss sie sich schließlich, bei Roy zu bleiben, hielt aber weiter brieflichen Kontakt zu Vita. Und sie hielt die Zeit in einem Ölbild fest: Long Barn im Winter 1927/28 , eines ihrer wenigen Werke, das öffentlich zu sehen ist.

Bemerkenswert sind die literarischen Folgen: Vita Sackville-West veröffentlichte "Liberty", die Geschichte einer leidenschaftlichen Affäre, die sich auf ihre Beziehung mit Mary stützt, im Oktober 1930 in Harper's Bazaar und hielt ihre Liebe zu Mary in Sonetten ("King's Daughter", 1929) fest; sie reichte den Text bei der Hogarth Press ein, was bei Virginia zu neuerlichen Eifersucht führte. Roy Campbell, empört und wütend, schrieb "The Georgiad" (1933), ein sehr unschmeichelhaftes Bild von Long Barn und den Nicolsons, in der er Vita als "frowsy poetess" karikiert, eine böse Satire auf den Bloomsbury Kreis: Intellektuell ohne Verstand, Menschen, deren Geschlechter sich kreuzen. Virginia Woolfs "Orlando. Eine Biographie" erschien 1928 und war eine Huldigung an Vita: nachdem Mary Campbell das Buch gelesen hatte, schrieb sie an Vita und kritisierte, dass

"Orlando zu vorsichtig, zu unerotisch, zu gelassen ist, um dir wirklich zu gleichen. Denn wenn ich daran denke, wie er mir erschien, ist er ganz anders als bei Virginia. Ah! ein ganzes Buch über Orlando, ohne ihre tiefe, feurige Sinnlichkeit zu erwähnen - diese sonderbare Mischung aus Feuer und Schwermut, Hitze und Kälte - das erscheint mir ein wenig blässlich."

1928 gingen Mary, Roy und die Töchter - wieder einmal mittellos und mit 10 Pfund Startgeld - nach Südfrankreich; sie mieteten in der Nähe der malerischen Hafenstadt Martigues ein altes Bauernhaus, "Tour de Vallier", mit etwas Ackerland, Oliven- und Mandelbäumen. Während Roy an "The Georgiad" arbeitete, malte Mary in einem kleinen Atelierraum, den sie sich in einem Nebengebäude eingerichtet hatte. Sie malte Porträts ihrer Familie, Landschaften und das Meer. Augustus John ermutigte sie, nachdem er ein Porträt ihrer Tochter Tess gesehen hatte. Zu den Besucher:innen gehörten neben Augustus John, Aldous Huxley, der in der Nähe in Sanary wohnte, Sybille Bedford, Nancy Cunard mit Henry Crowder, der Maler Tristram Hillie, der die Familie inkl. Hund malte; es kamen Marys Schwester Lorna mit ihrem Mann Ernest Wishart, Hart Crane und der irische Schriftsteller Liam O. Flaherty, Marys Freundin und Schwägerin Jeanne Hewitt und deren Schwester Lisa: Mary hatte ein kurzes Verhältnis mit Jeanne, Roy mit Lisa.

Nach mehreren Veröffentlichung Roy Campbells Anfang der 1930-er Jahre besserten sich die finanziellen Verhältnisse der Familie: sie übersiedelten in ein größeres Haus, etwas weiter von Martigues, "Figuerolles" genannt, und stellten den südafrikanische Schriftsteller Uys Krige als Hauslehrer für die Kinder ein; Mary malte von ihm ein Aktbild, ihre Tochter Anna beschrieb es als wunderbares Gemälde, ähnlich einem Botticelli.

1933 zog Mary mit ihrer Familie in die Provence, Ende des Jahres beschlossen sie nach Spanien zu gehen: in Barcelona - wo sie im Rotlichtviertel wohnten - besuchte Mary Kurse einer Kunstschule, befreundete sich mit einer Gruppe jüdischer Emigrant:innen und hatte Besuch von den Huxleys und Sybille Bedford. Ein Umzug nach Valencia, finanzielle Schwierigkeiten, komplizierte Wohnungssuche, führten zu erheblichen Streitereien mit Roy und Gedanken an eine Trennung. Tess wollte im Falle einer Trennung ihrer Eltern lieber bei ihrer Mutter leben, da diese "immer ruhig und unveränderlich" war. Schließlich fanden sie in der malerischen Küstenstadt Altea einen ruhigen Platz zum Leben. Mary und Roy konvertierten zum Katholizismus, Mary verbrachte den größten Teil des Tages in der Kirche - in den Erinnerungen ihrer Töchter eine Zeit, in der sie sich um die Kinder wenig kümmerte.

Das ruhelose Leben der Familie setzte sich fort; Mitte 1935 übersiedelten sie nach Toledo und mieteten ein kleines Haus gegenüber der Kathedrale (18 Calle Cardinal Cisneros). Sie lernten in einem Lokal den englischen Schriftsteller Laurie Lee kennen, der durch Spanien trampte und luden ihn zu sich nach Hause ein: sein erster Eindruck von Mary "eine Frau in strahlendem Weiß", "eine keltische Schönheit mit ... violetten Augen", eine Frau die ihn, der nicht gläubig war und der auf Seiten der Republikaner stand, bekehren wollte. Kurz nach seiner Abreise fand Mary ein schönes altes Steinhaus an der Mauer zur Kathedrale, das der ehemalige Sommersitz eines Kardinals war (Hostal del Cardenal) und später ein Hotel wurde. Sie hatten Pferde und Mary, eine gute Reiterin, erkundete die umliegende Landschaft, zeichnete und malte.

Marys Religiosität vertiefte sich, sie fastete und wollte Laien-Karmeliterin werden. Nach Angriffen der Republikaner auf kirchliche Einrichtungen beschloss Roy, der auf der Seite Francos stand, mit seiner Familie nach England zurückzukehren. Über Madrid fuhren sie nach Valencia, von dort mit dem Schiff nach Marseille. Auf der Überfahrt lernten sie Laura Riding und Robert Graves kennen und kehrten mit ihnen über Paris nach London zurück.

Anfangs lebten sie bei Marys Schwester Lorna und ihrem Mann Ernest Wishart. Bei einem Weihnachtsessen mit den Wisharts, Douglas Garman, Peggy Guggenheim, Edgell Rickword u.a. tat sich ein tiefer Riss innerhalb der Familie auf: Roy Campbells antisemitische Einstellung und seine rechtsgerichteten Ansichten führten zu einer Entfremdung zwischen den Schwestern und zu Konflikten mit ihren Freund:innen. Obwohl Roys Gedichte Anerkennung fanden und er in den intellektuellen Kreisen seiner Zeit verkehrte - den Sitwells, T. W. Earp, Wyndham Lewis, Augustus John, T. S. Eliot, Dylan Thomas, Hart Crane, Jacob Epstein - spielte er keine bedeutende Rolle und einer Freundschaft mit den Mitgliedern der Bloomsbury Gruppe standen seine politischen Einstellungen entgegen.

Sie übersiedelten in ein Landhaus in der Nähe von Petersfield, wo Roy das profaschistische Buch "Flowering Rifle" schrieb. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Roy als Mitglied des British East African Corps in Kenia stationiert, wurde aber 1944 krankheitshalber entlassen. T.S. Eliot, der selbst sehr sparsam lebte, war großzügig gegenüber anderen Dichtern und Schriftstellern, so unterstützte er auch während der Kriegsjahre Roy Campbell.

Nach Roys Rückkehr ging die Familie zurück nach London und lebte in Kensington, Campden Grove 17. Roy fand Beschäftigung bei der BBC und betreute - unter Mitarbeit von Mary und Tess - die neue rechtskonservative Literaturzeitschrift "The Catacomb", an welcher der Dichter und Freund von Roy, Rob Lyle, beteiligt war - der spätere Ehemann von Marys Tochter Anna; 1951 wurde die nicht sehr erfolgreiche Zeitschrift eingestellt. Roy entwickelte mit Lyle den Plan, gemeinsam eine kleine Landwirtschaft im Süden zu bewirtschaften und sie beschlossen Anfang 1952, dies in Portugal zu versuchen. Portugal wählten sie wegen der Nähe zu Spanien, der ähnlichen Kultur und wegen der Politik Salazars, der im Gegensatz zu Franco nicht gegen die schwarze Bevölkerung vorging - Roy lehnte auf Grund seiner Erfahrungen in Südafrika den Rassismus der Weißen gegenüber den Schwarzen ab.

Gemeinsam mit Lyle und seiner ersten Frau mieteten sie in den Hügel von Sintra eine kleine Landwirtschaft - Quinta dos Bochechos / Gurgling Farm, wo sie Wein und Gemüse anbauen wollten. Nachdem Lyle 1953 nach England zurückgegangen war und Roy etwas Geld von seiner Mutter geerbt hatte, kauften sie ein Stück Land in Linho und bauten ein Haus - das erste eigene. Die Casa da Serra lag auf einem Hügel mit Kiefern und Korkeichen, mit Blick auf die atlantische Küste; Roy erlebte die Fertigstellung des Hauses nicht mehr.

Im April 1957 fuhren Mary und Roy mit ihren Auto, einem kleiner Fiat 600, nach Sevilla, um dort an der Karwoche teilzunehmen und verbrachten ein paar Tage in Toledo. Auf der Rückreise platzte in der Nähe von Setubal ein Vorderreifen, der Wagen kam von der Straße ab und prallte gegen einen Baum: Roy war sofort tot, Mary, die am Steuer saß, war verletzt und erholte sich erst nach einer langen Rekonvaleszenz. Für ihre Tochter Anna war sie danach nie mehr dieselbe tapfere Optimistin, obwohl sie ihren tiefgründigen Sinn für Humor wieder fand. Später berichtete Mary einem Journalisten, ihr sei aufgefallen, dass ihr Mann an dem Tag seines Todes sehr ruhig und ernst gewesen sei, als spürte er, dass es zu Ende gehe.

Mary verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in der Casa da Serra; anfangs noch wohlhabend, wurde ihre finanzielle Situation immer schwieriger, eine Situation die sie aber gelassen hinnahm. Sie blieb bis ins hohe Alter eine Schönheit, bekam Heiratsangebote, die sie nicht annahm. Sie hörte viel Musik, liebte Mozart, malte, zeichnete, machte Skizzen, verkaufte und verschenkte ihre Bilder. Ihre künstlerische Begabung hatte sie ihr Leben lang hintangestellt, eine Karriere vernachlässigt; sie war das Rückgrat der Familie, unterstützte ihren - nicht unkomplizierten Mann - bei seiner Arbeit, übersetzte mit ihm gemeinsam Texte und meisterte ein Leben voll Entbehrungen.

Ihre Töchter Anna und Tess und die Menschen, die Mary kannten, beschrieben sie als bewundernswerte Frau, hochbegabt sowohl musikalisch als auch als Malerin; eine sehr warmherzige und großzügige Frau, die das Leben genoss und nichts bedauerte. Außerdem besaß sie - so Tess, die bei ihr lebte - eine unerschöpfliche "Vitalität und einen sehr kontroversen Geist, so dass es überall, wo sie war, nie langweilig wurde".

Am 27. Februar 1979 verstarb Mary Garman Campbell an den Folgen eines Schlaganfalls und wurde am Friedhof von Sao Pedro neben ihrem Ehemann Roy Campbell beigesetzt.

 

Die Töchter von Mary und Roy Campbell wuchsen sehr unkonventionell auf, wurden zeitweise bei der Verwandtschaft untergebracht und waren oft auf sich alleine gestellt. Bei ihren Enkelkindern, in die beide vernarrt waren, versuchten Mary und Roy das nachzuholen, was sie bei Anna und Tess verabsäumt hatten.

Anna (1922-2002) heiratete in erster Ehe einen spanischen Adeligen, Viscount Jaime Cavero de Carondelet, bekam am 13. Mai 1953 ihre Tochter Frances; in zweiter Ehe war sie mit dem Freund ihres Vaters Rob Lyle verheiratet. Teresa "Tess" (1926-2006) heiratete im August 1954 den Portugiesen Ignatius Custodio, der sie zwei Wochen nach der Hochzeit verließ; im März 1955 bekam sie einen Sohn: Francisco "Francis" Campbell Custodio.


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Die Geschwister Garman 1913

von links nach rechts: Kathleen, Lorna, Mavin, Mary, Rosalind, Douglas, Ruth, Sylvia und Helen

 Oakeswell Hall um 1913

Roy Campbell und Mary Garman 1921

Ty Corn in Wales

William Plomer, Roy und Mary Campbell in Südafrika 1926 / die südafrikanische Kulturzeitschtift Voorslag, 1-3, 1926

Mary Margaret Garman Campbell: Long Barn, 1928/29

Oben: Mary Campbell 1927, Vita Sackville-West 1928

links: Mary und Roy Campbell 1928 in der Provence

Tour de Vallier, 1930

Roys Mutter, Roy, Mary, Tess und Anna 1935 in Altea

Laurie Lee, Mary und Roy Campbell 1935 in Toledo

Toledo, Hostal del Cardenal, 1936

Mary und Roy Campbell 1944


Bücher über Mary Garman Campbell:

Mary Campbell - Werke (Auswahl)

1927/28 Long Barn im Winter
1928 Porträts ihrer Familie
1932 Aktbild von Uys Krige
1957 Porträt von Roy Campbell

 

Mary Campbell - Veröffentlichungen in Zusammenarbeit mit Roy Campbell (Auswahl):

Übersetzung: "Frederico Garcia Lorca (1899-1936): Somnambulistic Ballad". In: Translation. A Collection of Newly Translated Work. Second Series, ed. by Neville Braybrooke and Elizabeth King. Phoenix Press,

London 1947
Übersetzung: "Frederico Garcia Lorca: Lament for the Matador, Part 3 the Wake". In: The Catacomb, Old Series, 7, October 1949 / Forum: Stories and Poems, 1.2, 1949
Vorwort zu Roy Campell's Übersetzung von "Poems of St. John of the Cross". Penguin Books, Harmondsworth, Middlesex 1960