JOAN ADENEY EASDALE

23. Jänner 1913 – 10. Juni 1998

 

Dichterin, Rundfunkautorin

 

 

Joan Adeney Easdale war die Tochter von Gladys Ellen Easdale und Robert Carse Easdale. Ihre Mutter, geb. Adeney, wuchs in einer unkonventionellen Londoner Pfarrerfamilie auf, die es liebte in einem Wohnwagen, mit Zelten und Tandems, Urlaub zu machen, sich gegenseitig mit Geistergeschichten zu ängstigen und die ihren sieben Kindern die Freiheit gab, im nahegelegenen Park Hampstead Heath herumzutollen. Nachdem die Familie nach Manchester übersiedelt war - Joans Großvater wurde Direktor des Lancashire Independent College - lernte Ellen ihren Mann kennen, Sohn eines verarmten irischen Textilproduzenten. Nach einer kurzen, romantischen Phase heirateten die beiden und bekamen 1908 eine Sohn, Brian, der ein sehr kränkliches Kind war. Drei Jahre später kam Joan auf die Welt, zu einer Zeit, in der die Ehe der Eltern schon von Misstrauen, Angst und Unverständnis füreinander geprägt war. Robert Carse Easdale hatte starke Stimmungsschwankungen - von freundlich über schweigend bis extrem wütend - und wurde durch die häufige Abwesenheit seiner Frau, die mit den Kindern oft zur Erholung nach Südengland fuhr, zunehmend feindselig und paranoid. 1916 entschlossen sich die Eltern zur endgültigen Trennung, ließen sich aber nie scheiden; gesetzlich wurde festgelegt, dass der Vater die Kinder einmal pro Jahr besuchen konnte. Ellen Easdale ging mit den Kindern nach London, ihr Mann blieb in Manchester, flüchtete in den Spiritualismus und emigrierte schließlich 1936 nach San Francisco; Joan sah ihren Vater danach niemals wieder. Die Trennung wurde den Kindern vorerst verheimlicht - erst drei Jahre später sprach die Mutter mit ihnen darüber -, die Briefe des Vaters wurden abgefangen und den Kindern wurde ein möglichst schlechtes Bild ihres Vaters vermittelt. Für Joan war die Abwesenheit des Vaters sehr schmerzlich und sie verzieh ihrer Mutter nie.

Ellen Easdale hatte durch eine Erbschaft und eine Zuwendung ihrer Mutter genug Vermögen, um unabhängig leben zu können. Sie wohnte mit ihren Kindern in einem Haus in Hampstead Garden, von dem Brian und Joan auch Zutritt zum öffentlichen Park hatten, fuhr mit ihnen ans Meer, machte Besuche bei ihren zahlreichen Geschwistern und hatte nur ein Bestreben: das Genie ihrer Kinder in den Vordergrund zu stellen. Sie bestärkte sie in künstlerischen Aktivitäten, füllte das Haus mit Büchern, bevorzugte und förderte aber ihren Sohn Brian bezüglich der Ausbildung: Brian besuchte die Gesangsschule in Westminster Abbey und studierte später am Royal College of Music, schrieb mit siebzehn seine erste Oper, wurde von seinem Freund Benjamin Britten gefördert und errang Bekanntheit u. a. wegen seiner Musik für den Filmklassiker "The Red Shoes", die den Oscar gewann.

Joan bekam von einem Onkel nach der Rudolf Steiner-Methode sporadisch Privatunterricht, wurde überbehütet, auch wenn sie nicht wirklich krank war, und litt unter den nicht berechenbaren Launen ihrer Mutter, die geplante Ausflüge oder Besuche plötzlich wieder absagte, oder sie einmal besonders verletzte, als sie Ballettstunden bei Enrico Cecchetti erhalten sollte, der sie für sehr begabt hielt, und ihre Mutter plötzlich fand, dass der tägliche Weg in sein Studio für Joan zu beschwerlich wäre.

Im Frühling 1926 kaufte Ellen Easdale ein Haus in Crouch, einem kleinen Ort in der Nähe von Sevenoaks: sie war nun über Vierzig und wollte ein neues Leben beginnen. Sie sah sich als Schriftstellerin, schrieb ihre Erinnerungen, veröffentlichte 1935 "Middle Age. 1885–1932" und 1939 unter dem Pseudonym Francis Adoney "Don’t blame the Stars". Und sie konzentrierte sich in den frühen 1930-er Jahren auf die Karriere von Joan als Schriftstellerin. Da sie beide Kinder für Genies hielt, wurden sie unermüdlich zur Schau gestellt: Kontakte wurden geknüpft, Brian und Joan aufgefordert, Briefe an wichtige Menschen zu schreiben, diverse Feste mit bunt gemischten Gästen wurden veranstaltet, bei denen Brian Klavier spielen und Joan ihre Gedichte vorlesen mussten.

Und Joan - eine scharfsinnige Beobachterin ihrer Umgebung - war äußerst kreativ: sie erdachte sich Geschichten, schrieb Gedichte, malte und zeichnete Karikaturen. Mit siebzehn schickte sie ihre Gedichte (illustriert mit Zeichnungen, die allerdings nicht verwendet wurden) an Virginia Woolf, die sich spontan dazu entschloss, diese in der Hogarth Press zu veröffentlichen.

Für Joan eröffnete sich eine neue Welt: plötzlich gehörte sie zur literarischen Szene, wurde zum Tee bei den Woolfs, Vita Sackville-West, G. B. Stern eingeladen, unterschrieb Verträge, korrigierte Druckfahnen und musste sich für einen Buchumschlag entscheiden - sie wählte einen Kirschton. Im Februar 1931 erschien als Nr. 19 der ersten Serie von "Hogarth Living Poets" der Band "A Collection of Poems (Written between the Ages of 14 and 17)". Das 88 Seiten starke Buch war kartoniert und hatte eine Auflagenhöhe von 400 Stück. Kurz darauf schrieb Virginia Woolf an Hugh Walpole: "Diese junge Dichterin ist meine Entdeckung. Sie sandte mir Stöße von schmutzigen Schönschreib-Heften, beschrieben mit einem Gekritzel ohne Rechtschreibung, aber ich war sprachlos, eine – wie ich glaube – wirkliche Begabung zu finden" (The Letters. Volume IV: 1929–1931, S. 311). Die Gedichte waren sehr unterschiedlich: einige waren verspielt, einige beobachteten kritisch das Leben der Mittelklasse, und einige – wie "One for Bedlam" und "The Lunatic and Depression" – schienen die traurige Zukunft der jungen Schriftstellerin vorauszuahnen. Von der Kritik wurde der Band als überraschend gut und gelungen bezeichnet und der Autorin eine viel versprechende Zukunft vorausgesagt. The Listener druckte eine neues Gedicht, Bookman zählte sie zu den besten fünf DichterInnen des Jahres und The Spectator rühmte die Sammlung. Im Juli 1931 gestaltete Joan gemeinsam mit ihrem Bruder Brian in der Buchhandlung Bumpus (Oxfordstreet) einen Abend, an dem sie die von ihrem Bruder vertonten Gedichte darbot; unter den Gästen waren auch die Woolfs, die zwar von Ellen Easdale und ihrer Distanzlosigkeit genervt waren, sich aber gewissermaßen als Mentoren der jungen Schriftstellerin sahen.

In dieser Zeit lernte Joan über ihren Bruder Naomi Mitchison kennen - er wollte ihren Roman "Kornkönig und Frühlingsbraut" vertonen - und es entstand bald eine enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Mitchison, emanzipiert und in der Londoner Literaturszene anerkannt, schätzte Joans Gedichte und erkannte ihre Begabung. Der intensive Briefwechsel, vor allem die Briefe an Naomi Mitchison, gibt auch Aufschluss über Joans Entwicklung.

Im März 1932 folgte als Nr. 23 der "Hogarth Living Poets" "Clemence and Clare", 44 Seiten stark, mit einem gelben Kartoneinband, schwarz bedruckt; die Auflagenhöhe des Gedichtbandes war 500 Stück, von denen vorerst 262 gebunden wurden. Obwohl die Gedichte keine wesentliche Weiterentwicklung zeigten, ist ein Wechsel der Stimmungslage erkennbar; sie sind trauriger und verträumter, wie schon das Inhaltsverzeichnis zeigt: z. B. "A Person Wept", "A Sadness", "Why Give me Balm Before my Woe", "A Sad Story"; das Titelgedicht - Virginia Woolf gewidmet - ist eher ein übersinnlicher Versroman und - wie die Presse meinte - vom Stil Edith Sitwells beeinflusst, ebenso das Gedicht "Revelation. A Dream Poem".

Nach Abschluss von "Clemence and Clare" begann Joan mit der Arbeit an einem langen Gothic Fantasy Gedicht mit dem Titel "Amber Innocent", das sie erst kurz nach ihrer Heirat vollenden sollte. Gleichzeitig entschloss sie sich, eine Biografie über Isabella Beeton zu schreiben, die mit "The Book of Household Management" zur Ikone des viktorianischen Haushalts wurde und als berühmteste Kochbuchautorin des Landes galt. Sie machte aufwendige Recherchen, reiste auf den Spuren Isabella Beetons und traf auf Vermittlung Virginia Woolfs Sir Mayson Beeton, den Sohn, der allerdings nicht viel zum Leben seiner Mutter sagen konnte, da er zum Zeitpunkt ihres Todes eine Woche alt war. Für das Londoner Regionalprogramm von BBC schrieb sie ein Hörspiel - "The Life of Mrs. Isabella Mary Beeton and the Story of how the Famous Cookery-Book Came to be Written" -, das am 9. November 1937 gesendet wurde; das Buchprojekt über Mrs. Beeton gab sie aber auf. Darüber hinaus beauftragte sie John Richmond weitere Beiträge für BBC zu schreiben, wie z. B. ein Hörspiel über den Geigenbauer Stradivari; ihre Hörspiele wurden auch im australischen Rundfunk gesendet

1933 lernte sie bei der Hochzeit des Musikers Herbert Murrill den Chemiker Norman Stuart kennen und verliebte sich in den sehr stillen, nervösen und wahrscheinlich homosexuellen jungen Mann. Ihre Mutter beendete unsensibel diese komplizierte Beziehung, indem sie mit Joan eine zweimonatige Europareise nach Italien und Frankreich unternahm.

Für Joan Easdale war es nun Zeit, erwachsen zu werden, sich von ihrer Mutter zu emanzipieren; sie übersiedelte nach London, wohnte zuerst bei ihrem Bruder Brian und seiner Frau Frida in Hampstead. Sie freundete sich mit Jill Rendel an, der Großnichte von Lytton Strachey, und zog mit ihr in eine gemeinsame Wohnung nahe der Parkfield Road. Joan genoss das neue unabhängige Leben in den Londoner Kunst- und Literaturszene, sie besuchte Vorlesungen an der Universität, arbeitete in der British Library und ging zu Konzerten, ins Theater und in das von ihr besonders geschätzte British Museum. Sie zog sich aber auch zurück, machte Ferien an der Küste von Sussex (West Wittering) oder besuchte das Adelphi Centre in Langham / Essex, eine von Max Plowman und John Middleton Murry gegründete pazifistische Kommune, in der man Sozialismus lernen und leben konnte.

Die Jahre in London waren die glücklichsten in Joans Leben: sie hatte Erfolg als Dichterin, liebte ihre Rundfunkarbeit und sie verliebte sich in den Bruder ihrer Mitbewohnerin: der junge Genetiker James Meadows Rendel (1915–2001) war ein Neffe von Virginia Woolfs Ärztin Elly Rendel, sein Vater Dick war der Sohn von Lytton Stracheys ältester Schwester Elinor und seine Mutter Judy war die Schwester von Frances Marshall (Partridge); er war befreundet mit dem Mitchison Clan - Naomi Mitchisons Bruder, der Genetiker J. B. S. Haldane war sein Lehrer - und er führte als Student ein recht unkonventionelles Leben: er war vom Ballett fasziniert, spielte Flöte und hielt sich ein Chamäleon als Haustier. Als er 1938 eine Stelle am Harper Adams Agricultural College in Edgmond / Shropshire angeboten bekam, machte er Joan einen Heiratsantrag, dem sie zwiespältig gegenüberstand: einerseits hatte sie schlechte Erfahrungen mit der gescheiterten Ehe ihrer Eltern und Angst, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, andererseits liebte sie Rendel (Jim), der ihr versicherte, sie nicht in ihrer Freiheit einschränken zu wollen. Schließlich entschied sie sich für die Heirat: die beiden heirateten am 22. Oktober 1938 in Wellington / Shropshire und übersiedelten nach Edgmond. Joan, anfänglich begeistert von ihrem neuen Leben und überzeugt, dass Haushalt und Schreiben miteinander vereinbar seien, realisierte bald, dass dies nicht möglich war. Sie war unruhig, hatte das Gefühl, ihre Zeit zu vergeuden, wollte sich nicht in das konservative Gesellschaftsleben des kleinen Ortes einfügen und vermisste die Diskussion mit ihren Londoner Freunden. Das Haus ihrer Freundin Naomi Mitchison in Schottland (Carradale House in Kintyre), das sie auch mit ihrem Mann oft besuchte, wurde ihr zum Zufluchtsort und Platz der Erholung. Naomi Mitchison war es auch, die Virginia Woolf "Amber Innocent" begeistert ans Herz legte, da sie das Entstehen der Verserzählung, an der Joan Easdale seit März 1932 schrieb, miterlebt hatte.

Im März 1939 beendete sie schließlich "Amber Innocent"; das ihrem Mann gewidmete 60 Seiten starke Büchlein (Auflagenhöhe 1000 Stück) erschien im darauf folgenden Herbst in der Hogarth Press, in rosafarbenes Leinen gebunden, gold bedruckt, mit einem von Vanessa Bell gestalteten Schutzumschlag, ebenfalls in rosa gehalten, mit schwarzem Aufdruck. Es sollte eine ihrer letzten Arbeiten werden und beschreibt die Erfahrung einer jungen Frau, die das Haus ihres verbitterten Schwagers verlässt und sich auf eine moderne Odyssee begibt.

Obwohl "Amber Innocent" uneinheitlich war - es wurde schließlich in einem Zeitraum geschrieben, in dem Joan Easdale sich von einem jungen Mädchen zu einer erwachsenen Frau entwickelte - und obwohl John Lehmann, der neue Partner in der Verlagsleitung gegen die Veröffentlichung war, fand das Buch Anerkennung: Vita Sackville-West war beeindruckt, Naomi Mitchison, die der von Männern dominierten modernen Dichtung kritisch gegenüber stand, rühmte es im New Statesman, Naomi Royde Smith besprach es positiv in Time and Tide und The Times Literary Supplement sprach von einer bemerkenswerten Entwicklung sowohl in Tiefe als auch an Subtilität.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gingen Joan Easdale und ihr Mann zurück nach London - Jim Rendel bekam eine Stelle bei seinem ehemaligen Lehrer Haldane im Genlabor des University College, wo er an Druckkammer-Versuchen teilnahm, die einmal schief gingen und seine Lunge schwer schädigten. Und Joan war schwanger; sie brachte ihrer erste Tochter Jane im Juli 1940 bei Fliegeralarm in Aylesbury, nordwestlich von London, zur Welt und kehrte nach zwei Monaten wieder nach London zurück, wo sie mit Mann und Kind in John Richmonds Haus in Highgate unterkam. Unter dem Eindruck von Fliegeralarm, Bombenangriffen und Kriegsalltag schrieb sie ein sehr langes Gedicht, das ihr Mann für ihr bestes hielt, aber von keiner Zeitschrift angenommen wurde. Nachdem das Leben in London immer gefährlicher geworden war, wurde Jims Arbeitsplatz nach Hertfordshire verlegt; die Familie lebte ab November 1940 gemeinsam mit Haldane, seinen Mitarbeitern und dem tschechischen Professor Hans Kalmus in einem Haus in Harpenden. Joan erwartete sich ein friedliches, kreatives Leben in dieser Hausgemeinschaft, wurde aber enttäuscht: während die meisten Mitbewohner tagsüber im Institut arbeiteten, blieben ihr und Mrs. Kalmus die gesamte Hausarbeit, eine Aufgabe, die Joan nicht bewältigen konnte und die ihr jegliche Kraft zum Schreiben nahm. Ein weiterer Schlag war der Selbstmord von Virginia Woolf im März 1941; den Schock versuchte sie in einem Gedicht zu verarbeiten. Ein BBC-Auftrag für ein Hörspiel erfüllte sie mit Zuversicht, wurde aber von den Verantwortlichen abgelehnt, bis schließlich - nach einigen Korrekturen - John Richmond, der mittlerweile die Nachrichtenabteilung von BBC leitete, sich des Stückes annahm und es am 27. November 1942 zur Aussendung brachte: "Strange Things" war ihre letzte professionelle Arbeit.

Im Sommer 1943 bekam Joan ihre zweite Tochter, Polly. Sie versuchte weiter Gedichte zu schreiben, war frustriert, da sie nicht veröffentlicht werden konnten, und begann mit einem autobiografischen Roman ("Goodbye, Little Girl"), um ihre familiäre Vergangenheit aufzuarbeiten - ein länger dauerndes Projekt. Jim arbeitete mittlerweile für das Küsten-Kommando an der Entwicklung von Methoden zur Früherkennung von U-Booten. Mit dem Schadenersatz für seine Lungenschädigung kaufte er ein Haus in Pinner, im Nordwesten Londons, und stellte eine Reihe von Haushaltshilfen an, um Joan Zeit zum Schreiben zu ermöglichen.

Nach Kriegsende - Joan und ihre Familie erlebten es bei den Mitchisons in Carradale Haus - übersiedelten sie nach South Hampstead, Compayne Gardens, und erlebten dort die schwierige Nachkriegszeit. Anfang 1947 verbrachte sie noch einige, entspannte Tage bei Leonard Woolf in Rodmell; die Erinnerungen an ihr altes, erfolgreiches und freies Leben wurden wieder präsent, aber auch die Erkenntnis, dass sie seither ohne Erfolg geblieben war.

Eine schwierige Zeit folgte: im Juli 1947 verstarb ihr Vater, im Herbst übersiedelten die Familie nach Schottland, wo sie gemeinsam mit Jims Berufskollegen und deren Familien das in der Nähe von Edinburgh gelegene Anwesen Morton Hall bezogen und im November bekam Joan ihr drittes Kind, Sandy. Nach zwei Jahren Kommune-Leben übersiedelten sie in ein eigenes, kleines Haus in Edinburgh (74 Colinton Road). Joan war depressiv, labil und hatte zunehmend Schwierigkeiten, mit allen zurechtzukommen; es kam zu Auseinandersetzungen mit ihrem Mann, der sie für unfähig hielt, mit Geld oder der Realität des Alltags überhaupt umzugehen. Obwohl ihr Mann dagegen war, suchte sie Hilfe bei dem Psychoanalytiker William R. D. Fairbairn: dieser sah die Ursache für ihre Schwierigkeiten darin, dass es über ihrer Kräfte ging, sowohl Haushalt und Familie zu versorgen als auch ihre dichterische Kreativität zum Ausdruck kommen zu lassen; er empfahl Joan, mit dem Schreiben aufzuhören und ihre literarischen Verbindungen zu lösen - und so kam es dazu, dass Joan sich von Naomi Mitchison distanzierte, mit der sie eine jahrelange, sich gegenseitig unterstützende Freundschaft gehabt hatte.

1951 bekam Jim Rendel das Angebot für die Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation in Sydney zu arbeiten und nach vielen Auseinandersetzungen übersiedelte die Familie nach Australien. Joan versuchte Australien als Beginn eines neuen Lebens zu sehen und verbrannte kurz vor der Abreise ihr gesamtes unpubliziertes Werk, ihre Tagebücher und Notizen. Die Reise ging über Kent - sie verabschiedeten sich dort von Familie und Freunden wie Leonard Woolf u. a. - nach London / Tilbury, von wo sie sich am 21. November 1951 nach Sydney einschifften. Für Joan - frei von allen Pflichten - bedeutete die einmonatige Reise eine Zeit der Erholung; in Mosman, einer am Wasser gelegenen, abgewohnten Vorstadt von Sydney bezogen sie ein Haus (20 Stuart Street) neben einem Mangroven-Sumpf. Die drückende Hitze des australischen Sommers, unangenehme äußere Lebensumstände (Stechmücken, schlechte Verkehrsverbindung, Buschbrände) verschlechterten ihren Gesundheitszustand; sie litt zunehmend unter Verfolgungsängsten und hatte religiöse Wahnvorstellungen, magerte ab, Phasen gelähmter Untätigkeit wechselten mit lautstarken Ausbrüchen in der Öffentlichkeit über Sex und Gott. Im Frühjahr 1954 beschlossen Joan und Jim nach einem langen Gespräch, dass es für sie am besten wäre, eine Weile Urlaub in England zu machen. Sie sollte nie mehr nach Australien zurück kehren.

Nach einem längeren Aufenthalt mit ihrer Mutter in Hampstead, besuchte sie ihre Verwandten und ihre Schwiegereltern, blieb eine Zeit lang bei ihrem Bruder und seiner zweiten Frau Betty und erholte sich soweit, dass sie an eine Rückkehr nach Sydney dachte. Jim, der mittlerweile sein Leben mit den Kindern so organisiert hatte, dass ein "normaler" Alltag stattfand, hatte Angst davor und riet ihr davon ab. Im November 1954 erlitt sie einen totalen Nervenzusammenbruch und wurde schließlich in das Holloway Sanatorium bei Virginia Water, Surrey, eingeliefert; in dieser für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Institution sollte sie für sieben Jahre bleiben: ihre Krankheit - paranoide Schizophrenie - wurde mit Elektroschocks und einer, auch bereits damals fragwürdigen, Insulin-Koma-Therapie behandelt. Ihre Krankheit, die Einsamkeit, die Sehnsucht nach ihren Kindern und das Leben in der Anstalt zerstörten den Menschen, der sie einmal war. Ihr Mann konnte ihre Krankheit nicht verkraften und ließ sich 1957 scheiden.

Im September 1961 entließ sich Joan selbst, sie wollte mit ihrer Vergangenheit nichts mehr zu tun haben und tauchte unter. Mit Hilfe eines Privatdetektivs fand ihre Mutter sie schließlich 1964 in Somerset: sie lebte in einem Wohnwagen, gemeinsam mit Albert, den sie irgendwann, irgendwo kennen gelernt hatte. Albert konnte kaum schreiben und lesen, lebte von der Fürsorge und Gelegenheitsarbeiten, aber sie unterstützten sich gegenseitig und Joan hatte einen Gefährten, den sie umsorgen konnte. Mit Hilfe von Ellen Easdale fanden sie in Brighton eine Unterkunft und lebten dort einige Wochen, danach teilte Joan ihrer Mutter aber mit, dass sie jeglichen Kontakt abrechen und ein einfaches Leben unter Menschen wie Albert führen möchte, mit Menschen, die zu ihrer Vergangenheit keinen Bezug haben. Joan und Albert lebten auf der Straße, arbeiteten gelegentlich und landeten schließlich in London, wo sie in Armut lebten und von einer elenden Unterkunft zur nächsten wechselten. Unterstützt wurden sie immer wieder von Ellen Easdale und auch von Joans Tochter Jane, die mittlerweile die Art School in London besuchte.

Im Frühjahr 1966 trennte sich schließlich Joan von Albert und kehrte an die Südküste zurück; in Dover bewohnte sie ein Zimmer, das sie mit einfachen Mitteln wohnlich zu gestalten versuchte; unterstützt wurde sie dabei von ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin, mit denen sie Briefkontakt hatte; ihre Briefe unterschrieb sie nun mit Joan Curly. Trotzdem wurde ihre Situation immer komplizierter: erfolglose Arbeitssuche, psychische Labilität und die Kündigung ihrer Unterkunft beendeten den Versuch, ein halbwegs geregeltes Leben zu führen. Sie lebte auf der Straße, prostituierte sich, trank in den Pubs am Hafen und machte sich schließlich auf in den Norden.

Als Sophie bzw. Sophia Curly verbrachte sie die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens in Nottingham – wo sie "sie selbst" sein konnte. Sie lebte in einer verwahrlosten Sozialwohnung, ihr gesamtes Hab und Gut in einem Raum zusammengestopft, im Zentrum ein Schreibtisch, dessen Fächer mit Lebensmittel gefüllt waren. Sie hatte starke Verfolgungsängste und brachte mit Hilfe von Schnüren komplizierte Vorrichtungen an, die sie vor Eindringlingen schützen sollten. Sie war aber auch gerne unter Menschen und frequentierte die Pubs von Nottingham wie The Bluebell, Yates', The Poacher, The Bell, The Cricketers und Rose and Crown.

Ihre Kinder (Jane Susan Robertson, Polly Mary Virginia Woods, Alexander/Sandy Meadows Rendel) fanden sie schließlich und begannen, eine Beziehung zu ihrer psychisch kranken Mutter aufzubauen. Später versuchte ihre Enkelin Celia Robertson, in Bewdley / West Midlands aufgewachsen und nun Schauspielerin in London, einen engeren Kontakt zu ihrer Großmutter zu bekommen.

Am Ende ihres Lebens war Joan Easdale / Sophia Curley eine Stadtstreicherin, die auf einer Parkbank sitzend ständig in ihren Taschen suchte, auf den Straßen Nottinghams herumwanderte, auf Polizisten einsprach, ihr Geld für Bier und Schnüre ausgab, aus Taxis fiel und über Stiegen stürzte. Nach einem Oberschenkelhalsbruch lebte sie in einem Altenheim - Forest Lodge, fühlte sich aber eingeengt und unglücklich, so dass John Richardson, der für sie zuständige Sozialarbeiter, ihr eine kleine Wohnung im neu erbauten Ben Mayo Court verschaffte, wo sie unabhängig leben konnte, aber bei Bedarf auch Hilfe durch die Heimleitung bekam. Da sie sich nicht einfügen konnte, aber zu gebrechlich war, um alleine zu leben, kam sie in das heruntergekommene Altenheim Ash Lea Court, wo sie kommen und gehen konnte, wann sie wollte und wo sie auch starb.

In ihrem Testament vermachte sie dem Polizeipräsidenten von Nottingham ihren gesamten Besitz, der dann an ihre Tochter weitergegeben wurde. Zwei Schuhkartons mit rosa Schnüren verschnürt enthielten: eine Weltkarte, die sie in ihrer Wohnung an der Wand hatte, zwei Wörterbücher (Französisch, Deutsch), eine Kopie des Kommunistischen Manifests, ein Streifen mit Passfotos, auf denen sie lächelte, Briefe von ihrem Rechtsanwalt und der Sozialhilfe, Karten und Briefe ihrer Kinder und Enkelkinder, mehrere Tagebücher und Notizbücher mit Einkaufslisten und Beträgen, eine rosa Glasbrosche.

Joan Easdale wurde in Nottingham begraben; am Begräbnis nahmen ihre engste Familie teil, die Betreuer und Insassen des Altersheims, sowie Freunde und Bekannte aus Nottingham. Es wurde die Musik aus "The Red Shoes" gespielt, ihre Enkelin Celia las aus "Amber Innocent" und ihr Enkel James trug das Gedicht "Eternity" vor. Auf ihrem Grabstein umrunden vier Namen ein keltisches Kreuz:

 

Joan Adeney Easdale,

Joan Rendel,

Sophia Curly,

Sophie.

Und unterhalb: Dichterin, Mutter, Freigeist.


Joan machte aufwendige Recherchen und Reisen, um über Leben und Werk der berühmten Isabella Beeton eine Biografie zu schreiben; ein Buch entstand nicht, aber eine Rundfunksendung bei BBC: "The Life of Mrs. Isabella Mary Beeton and the Story of how the Famous Cookery-Book Came to be Written".

Fünf Jahre nach dem Tod von Joan Adeney Easdale öffnete ihre Enkelin Celia Robertson die Kartons mit dem Nachlass ihrer Großmutter; sie schrieb die Biografie "Who was Sofie? The Lives of my Grandmother, Poet and Stranger" (Virago 2008 / 2009) und nahm auch den kompletten Text von "Amber Innocent" darin auf. Material für die Lebensgeschichte fand sie in Berichten von Joans Kindern, ihres Sozialhelfers aus Nottingham, von ein paar Freunden aus Australien, in den Gedichten und in Papieren von BBC; weitere Quellen waren die Tagebücher und Erinnerungen von Gladys Ellen Easdale, und - am wichtigsten - ein Bündel von Briefen, die Joan an Naomi Mitchison schrieb und Briefe, die sie vor und während ihrer Krankheit an ihre Mutter schrieb. Schrittweise setzte sich daraus das Bild einer bemerkenswerten Frau zusammen – wobei allerdings eine Lücke von zehn Jahren nicht zu füllen war.

In dieser sensiblen und berührenden Biografie gibt sie Einblicke in das Leben einer jungen, begabten Dichterin, die ihren Lebensinhalt - das Schreiben von Gedichten, nicht mit ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter vereinbaren konnte, psychisch erkrankte und sich von ihrem bürgerlichen Leben radikal entfernte, unabhägig und frei sein wollte, wofür sie auch das Leben auf der Straße in Kauf nahm.

Die zahlreichen Abbildungen in diesem Band - von ihrer Jugend bis ins hohe Alter - dokumentieren diese traurige Entwicklung. Ihre Enkelin beschreibt sie als winzige Person mit verstörten, getrübten Augen, die aber jung und verträumt ausschaute, wenn sie lächelte.

 


Joan Adeney Easdale - Veröffentlichungen (Auswahl):

A Collection of Poems. Written Between the Ages of 14 and 17. Hogarth Living Poets, First Series, No.18. Hogarth Press, London 1931

Clemence and Clare. Hogarth Living Poets, First Series, No. 23. Hogarth Press, London 1932

Amber Innocent. Hogarth Press, London 1939

 

Veröffentlichungen über Joan Adeney Easdale (Auswahl):

Celia Robertson: Who was Sophie? The Lives of my Grandmother, Poet and Stranger. Virago Press, London 2008, 2009

Hilary Newman: Joan Adeney Easdale. In: Virginia Woolf Bulletin, Issue No. 36, January 2011, S. 15

Mark Hussey: "W. H. Day Spender" Had a Sister: Joan Adeney Easdale. In: Helen Southworth (Ed.): Leonard & Virginia Woolf. The Hogarth Press and the Network of Modernism. Edinburgh University Press 2012

Emily James: Virginia Woolf and the Child Poet. In: Modernist Cultures, Vol. 7, 2, 2012, S. 279

Literatur- und Quellenverzeichnis:

J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986

Celia Robertson: My Search for Sophie. My Grandmother, Poet and Stranger. Virago Press, London 2009

Mark Hussey: "W. H. Day Spender" Had a Sister: Joan Adeney Easdale. In: Helen Southworth (Ed.): Leonard & Virginia Woolf. The Hogarth Press and the Network of Modernism. Edinburgh University Press 2012

Virginia Woolf: Tagebücher 3, 1925–1930, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999

Virginia Woolf: Tagebücher 4, 1931–1935, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003

Virginia Woolf: Tagebücher 5, 1936–1941, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008

Virginia Woolf: A Reflections of the Other Person. The Letters of Virginia Woolf. Volume IV: 1929–1931. Chatto & Windus, London 1981

www.dailymail.co.uk/home/books/article-560324/Bag-lady-poet--granny.html

www.theguardian.com/lifeandstyle/2008/apr/05/familyandrelationships.family

www.reading.ac.uk/special-collections/collections/sc-easdale.aspx (Gladys Easdale)

www.ourdailyread.com/2008/04/sophie-curly-and-the-downward-spiral-1/

genome.ch.bbc.co.uk/3689ba42ad7e43acaa3e7b443c0fdfc9

de.wikipedia.org/wiki/Isabella_Beeton

de.wikipedia.org/wiki/Isabella_Beeton#/media/File:Isabella_Beeton.jpg

www.npg.org.uk/collections/search/use-this-image.php?mkey=mw00476

csiropedia.csiro.au/rendel-james-meadows/

 

Bildnachweis:

Joan Adeney Easdale: www.modernistarchives.com/person/joan-adeney-easdale

Isabella Beeton 1860: commons.wikimedia.org/wiki/Isabella_Beeton?uselang=de#/media/File:Isabella_Beeton_1860.jpg

 


Helga Kaschl: Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press. Verlag Autonomie und Chaos, Berlin 2022

Im Berliner Verlag Autonomie und Chaos erschien im Juli 2022 eine Online-Ausgabe von "Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press" mit zusätzlichen illustrierenden Hintergrundtexten.
Das Buch kann kostenlos gespeichert und bei Bedarf ausgedruckt werden (448 Seiten, Format A4):


autonomie-und-chaos.de/die-buecher/helga-kaschl-frauen-in-virginia-woolfs-hogarth-press


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d-nb.info/1262912083/34