1898 –1989
Dichterin, Malerin, Illustratorin
Mary Stella Edwards war Dichterin, Malerin und Illustratorin - und in dieser Reihenfolge sah sie sich auch. Sie wurde in Hampstead geboren - ihr Vater, Richard Cromwell Edwards, war Architekt -, wuchs in Staines (12 Fairfield Avenue) auf, einer Stadt etwa 30 km vom Londoner Zentrum entfernt, und lebte dort bis zu ihrem Lebensende. Sie studierte in London am Royal College of Art (Battersea) und an der Regent Street Polytechnic School of Art. Dort lernte sie Judith Agnes Maud Ackland (1892–1972) kennen, deren Vater Charles Kingsley Ackland ein bekannter Arzt in Bideford / North Devon (Stowford House, Strand) war; Judith ging nach dem Besuch der städtischen Kunstschule in Bideford nach London, um ebenfalls Kunst zu studieren; die beiden freundeten sich an und hatten eine lebenslange enge künstlerische und private Beziehung. Sie lebten zusammen, reisten und verbrachten ab 1920 die Sommermonate in dem kleinen Haus "The Cabin" in Bucks Mills, einem Fischerdörfchen an der Nordküste von Devon.
Edwards und Ackland malten ihre Umgebung, das Dorf Bucks Mills, die in sanftes Licht gehüllten Klippen und Küstenstriche in den Braun-, Grau-, Gelb- und Grün-Tönen der Landschaft und sie malten die Gebiete, die sie auf ihren Reisen durch das Lake District, Yorkshire, Wales und die Quantocks entdeckten. Die idyllischen Bilder standen im Gegensatz zu den sozialen und politischen Spannungen ihrer Zeit (Generalstreik 1926, Börsenkrach und Depression 1929, Kriegsausbruch 1939). Beide ignorierten auch die großen Veränderungen in Kunst und Politik, was sie in dieser Hinsicht zu "altmodischen" Malerinnen machte. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sie sich auf das Gestalten von Dioramas, Schaukästen mit Modellfiguren und -landschaften, in denen historische Szenen gezeigt werden: Ackland gestaltete die Figuren und Edwards malte die Kulissen. Ihren ersten Auftrag erhielten sie 1949 für ein Diorama, das den Missionar Alexander Mackay mit seiner Druckerpresse am Victoria See in Uganda darstellt; weitere Aufträge folgten, wie u. a. ein Diorama in Gedenken an Florence Nightingale und schließlich sieben Dioramas für das Rathaus in Windsor: Markthalle und Marktplatz von Windsor 1607, Windsor Bridge und Schleppkähne mit Pferden um 1770 nach Bildern des Malers Paul Sanby, Braten eines Ochsen am Bachelors Acre zu Ehren George III, die Belagerung des Schlosses im Jahr 1216, St. Leonard’s Hill zur Römerzeit, die Übergabe der Krone an Harold 1066 nach Motiven des Teppichs von Bayeux und schließlich ein Diorama zum 150. Jahrestag des Edward VII Krankenhauses, 1818.
1971 starb Judith Ackland; Mary Stella Edwards zog sich in ihr Heim nach Staines zurück, veranstaltete Gedächtnisausstellungen für ihre Freundin in Windsor und
Staines und widmete sich wieder stärker dem Schreiben. Sie übergab eigene Arbeiten und Arbeiten ihrer Freundin - Aquarelle, Zeichnungen und Dioramas - an The Burton Art Gallery and Museum in
Bideford.
1989 starb sie in sehr traurigen Verhältnissen in Staines.
"The Cabin" in Bucks Mills blieb viele Jahre unbewohnt; der von Mary Stella Edwards gegründete Ackland and Edwards Trust kümmerte sich um das Gebäude bis es 2008 in
die Verwaltung des National Trust überging, der es für Kunstprojekte und Artists in Residence zur Verfügung stellt und auch der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Als Autorin veröffentlichte Mary Stella Edwards im Oktober 1926 in der Hogarth Press ihren ersten Gedichtband "Time and Chance"; Gilbert Murray - Altphilologe und Kollege von Virginia Woolfs Freundin Jane Harrison - schrieb die Einleitung. Der 63 Seiten starke Band war in rot-, gelb- und grün-marmoriertes Papier gebunden, die Auflagenhöhe ist leider nicht bekannt. Im Londoner Antiquariat Maggs wurde ein Exemplar angeboten, das Edwards dem irischen Verleger und Büchersammler Alan Clodd gewidmet hatte, der später in seiner 1967 gegründeten "Enitharmon Press" ihre Werke veröffentlichte.
Einzelne Gedichte erschienen in der Folge in dem von Thomas Moult herausgegebenen Band "The Best Poems of 1930" (Jonathan Cage, London), in "Art, Prose and Poetry" (Hg. Chaman Lall), in The Contemporary Review und in The Living Age. Sie veröffentlichte auch zwischen 1962 und 1964 Gedichte in der von Margaret Willy herausgegebenen Zeitschrift English. Literatur Criticism Teaching (The Oxford University Press).
Erst 1968 erschien ein weiterer Gedichtband: "A Truce with Time" mit Gedichten wie "A Summer Tide", "The Heart’s Glass", "Timeless Hour", "Autumn Lanscape". Es folgte 1978 "Before and After", ein Band in Gedenken an ihre verstorbene Freundin Judith Ackland; die Gedichte - so die amerikanische Schriftstellerin May Sarton - drücken die langjährige Zuneigung und Verbundenheit dieser beiden bemerkenswerten Frauen aus und geben Kraft, das Unerträgliche erträglich zu machen. Der Band erschien in der "Enitharmon Press", ebenso wie "Years Between" (1982) und "A Further Harvest" (1985) mit unpublizierten Gedichten aus der Zeit zwischen 1932 und 1984.
Mary Stella Edwards illustrierte auch Bücher - meist Kinderbücher -, malte oder zeichnete das Frontispiz und entwarf Schutzumschläge. Beispiele dafür sind: M. Royce / B. E. Todd / M. Meighn: The Normous Saturday Fairy Book (1924), William Garrett: The Grand Buffalo (1926), George Gibbard Jackson: From Track to Highway. A Book of British Roads (1935), Barbara Euphan Todd: Worzel Gummidge Or the Scarecrow of Scatterbrook (1936), Mabel Dean: Miss Milligan Comes Out (1937), Garry Hogg: The Muddle-Headed Postman and Other Stories (1937), Eileen Alice Arthurton: The Giant who Made Mistakes (1938) und Marjorie Royce: The Dogs at Abbey Lodge (1937). Außerdem entwarf sie – wie auch u. a. Nina Hamnett – einen Umschlag für die literarische Zeitschrift Coterie, in der die Sitwells, Huxley, Eliot u. a. Texte veröffentlichten; Kritiker fanden, dass der Umschlag zu sehr an Beardsley erinnere.
Das Londoner Antiquariat Maggs bot 2009 Kollektionen mit Originalen von Mary Stella Edwards aus den Jahren 1922 bis 1938 an: sie enthalten Entwürfe für Buchumschläge, oft in mehrfacher Ausfertigung, für Autoren wie Douglas Jerrold, Countess Barcynska, Henryk Sienkiewicz, Anatol France, Rufus King, G. B. Stern, Peggy Wood, verschiedene Illustrationen sowie bereits erschienene Bücher, deren Umschläge sie für die Verlage Arthur Barker, Nicholson & Watson, Lutterworth Press, Macmillan und Chapman & Hall gestaltet hat; weitere Entwürfe sind zum Teil abstrakt oder bilden Muster aus sich wiederholenden Objekten (wie Wasserhähne, Teekessel, Einkaufstaschen, Küchenutensilien, Gartengeräte, Segelboote, Flugzeuge, Gewichte, Uhren) oder Figuren (Kinder, Katzen, Vögel).
Im Nachlass (King's College Archive Centre, Cambridge) des Literaturkritikers und Regisseurs George Humphrey Wolferstan Rylands (1902–1999) befinden sich Briefe von Mary Stella Edwards aus den Jahren 1968 bis 1979. "Dadie" Rylands war mit dem Bloomsbury Kreis befreundet und arbeitete einige Monate bei der Hogarth Press, während er an seiner Dissertation "Words and Poetry" schrieb, die dort 1928 veröffentlicht veröffentlicht wurde.
Im Berliner Verlag Autonomie und Chaos erschien im Juli 2022 eine Online-Ausgabe von "Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press" mit zusätzlichen illustrierenden Hintergrundtexten:
autonomie-und-chaos.de/die-buecher/helga-kaschl-frauen-in-virginia-woolfs-hogarth-press
Das Buch kann kostenlos gespeichert und bei Bedarf ausgedruckt werden (448 Seiten, Format A4).
Mary Stella Edwards und Judith Agnes Maud Ackland lernten sich in London beim Kunststudium kennen und lebten gemeinsam in Staines und Bucks Mills.
Mary Stella Edwards entwarf eine Reihe von Umschlägen, illustrierte vor allem Kinder-
bücher und gestaltete das Cover für Coterie Nr. 5, eine Kunst- und Literatur-zeitschrift, die 1919 bis 1921 in London erschien.
Mary Stella Edwards - Veröffentlichungen (Auswahl):
Time and Chance. Hogarth Press, London 1926
A Truce With Time. Golden Head Press, Cambridge 1968 / Red Candle Press, London 1974
Before and After. Poems. Enitharmon Press, London 1978
The Years Between. Enitharmon Press, London 1982
A Further Harvest. Poems. Enitharmon Press, London 1985
Literatur- und Quellenverzeichnis:
J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986
Clive and Christine Chambers: The Creators of the Dioramas. In: Windlesora 18. Windsor Local History Publications Group, 2000
May Sarton: Recovering. A Journal. W. W. Norton 1997
acklandandedwardstrust.com/2016/12/09/first-blog-post/
www.northdevon-aonb.org.uk/explore/bucks-mills-0
numberonelondon.net/2011/03/the-windsor-dioramas-by-guest-blogger-hester-davenport/
www.nationaltrust.org.uk/bideford-bay-and-hartland/features/bucks-mills-cabin
www.burtonartgallery.co.uk/old-website/index.php/collections/702#.Wg7qL4VBQuE
www.modernistarchives.com/work/time-and-chance
historicengland.org.uk/listing/the-list/list-entry/1446295
issuu.com/gibelino/docs/coterie_5
www.thegazette.co.uk/London/issue/45421/page (Seite 7485)
janus.lib.cam.ac.uk/db/node.xsp?id=EAD%2FGBR%2F0272%2FPP%2FGHWR (Dadie Rylands Archiv)
Bildnachweis:
Fotos von Mary Stella Edwards und Judith Ackland: acklandandedwardstrust.com
Fotos von Bucks Mills: Helga Kaschl, September 2001